100 Sekunden Leben - Zweitklassiges Berlin
Deutschland ist nicht Letzter beim ESC geworden, dafür droht Berlin die fußballerische Zweitklassigkeit. Und da fragt sich unser Kolumnist Thomas Hollmann: Was ist der Achtungserfolg von Isaak wert, wenn Union absteigt?
Dass alles mit allem zusammenhängt, wusste schon Alexander von Humboldt. Okay, Humboldt meinte seinen Satz biologisch. Aber der Fußball war damals auch noch nicht erfunden. Genauso wenig die CDU.
Heute, da es beides schon eine ganze Weile gibt und Humboldt über Partei- und Vereinsgrenzen hinweg als Autorität gilt, muss man fragen: Wie viel Schuld trägt Kai Wegner am möglichen Abstieg von Union Berlin?
Freunde und Freundinnen des Regierenden Bürgermeisters werden einwenden, ein Spandauer kann nichts dafür, wenn die in Köpenick es nicht auf die Kette kriegen. Selbst vom Roten Rathaus aus sind es bis zum Stadion noch 15 Kilometer. Da lässt sich nur schwer dazwischen grätschen und das Gegentor verhindern.
Allerdings kann die Politik Perspektiven eröffnen, schwärmen SPD-affine Soziologen seit Willy Brandt. Nur weil der "Mehr Demokratie" gewagt habe, habe Günther Netzer die Tiefe des Raumes entdeckt und den Ball eben dorthin geschlagen. Dass Franz Beckenbauer die CSU favorisierte und Berti Vogts für die Todesstrafe war, passt zwar nicht so recht ins gesellschafts-erneuernde Bild. Aber mehr Außenrist haben die westdeutschen Fußballer tatsächlich gewagt.
Und wer weiß, vielleicht kann die Politik dem Fußball auch Perspektive nehmen. Hertha BSC ist jedenfalls einen Monat nach Wegners Amtsantritt abgestiegen. Und jetzt geht es möglicherweise auch für Union eine Etage tiefer. Da könnte man einen Trend erkennen. Zumal Berlin auch in Sachen Wohnungsbau allerhöchstens zweitklassig dasteht.
Und dem Wegner wird es nichts nützen, dass Deutschland beim ESC diesmal keinen Abstiegsplatz belegt hat. Wird der Kanzler diesen nationalen Achtungserfolg doch für sich reklamieren. Auch wenn Olaf Scholz auf Jazz steht, der möglicherweise noch mal ganz anders mit allem zusammenhängt.