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100 Sekunden Leben - Die innere Ausstellung

Wie sieht es eigentlich in Ihrem Kopf aus? Stehen da auch so seltsame Dinge herum? Kolumnistin Doris Anselm war im Museum und hat irritierende Parallelen zu ihrem eigenen Denken festgestellt.

Bei schönem Wetter sollte man nicht ins Museum gehen. Man sollte draußen sein und … na, einfach sein eben. Genauso ist es mit dem Denken. Vielfach denken wir zu viel, und dann auch noch recht krauses und beunruhigendes Zeug. Wir denken, sozusagen, eine schwarze Leinwand mit einem Loch in der Mitte. Oder eine Skulptur aus eingeschmolzenen Kinderschaukeln – keine Ahnung, was das soll, aber wir stehen innerlich davor und legen die Stirn in Falten. Völlig sinnlos.

Das ist mir klar geworden, als ich letztens wirklich im Museum war. Irgendwie hab ich mich nicht ganz wohl gefühlt. Da liefen auch so Aufseher rum, die nur drauf warteten, dass ich was falsch machte, in die falsche Richtung lief, durch die falsche Tür ging, zu dicht an irgendwas vorbei … Nee, danke, dachte ich, so jemand hab’ ich schon im Kopf. Manche Werke haben mir aber sehr gut gefallen, gerade in ihrer Unerklärlichkeit. Irgendjemand hat mal gesagt, man könne die Wirkung von Kunst eben nicht messen wie die von Abführmitteln. So ist es mit Gedanken wohl auch.

Ich bin trotzdem froh, dass durch meinen Kopf keine Schulklassen geschleust werden, die dann im Anschluss einen Aufsatz schreiben müssen. Je älter ich werde, desto klarer wird mir auch: Einige Ideen, die ich jahrzehntelang für meine eigenen hielt, sind in Wahrheit nur Leihgaben, oder manchmal auch Raubkunst. Vielleicht sollte ich sie zurückgeben. Auf manch andere Gedanken-Konstrukte wiederum war ich so stolz wie ein arroganter Galerist, der über ein "geniales" Werk schwadroniert, um den Preis hochzutreiben. Peinlich. Aber vielleicht hilft mir die Parallele zwischen meinem Kopf und einer Kunstausstellung wenigstens dabei, auf manche Vorwürfe schlagfertig zu reagieren. Dann werde ich zum Beispiel sagen: "Ich bin nicht launisch – ich habe wechselnde Ausstellungen."

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.