Fans mit Fanschals beim SV Babelsberg 03
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100 Sekunden Leben - Dazugehören

Ein Band-T-Shirt oder ein Fan-Schal ist für manche nur eine Textilie. Für andere ist es viel mehr - wie unser Kolumnist Hendrik Schröder festgestellt hat.

Ich kenne Leute, die kaufen sich, wenn es der Geldbeutel zulässt, nach jedem tollen Konzert am Merchandise-Stand ein T-Shirt der Band. Weil sie sich innerhalb kurzer Zeit oder immer wieder so derart stark mit dieser Band identifizieren, dass sie ein Stück davon auf der Haut tragen wollen, es anderen zeigen. Weil die Band für etwas steht. Ein Lebensgefühl, eine Haltung, was auch immer. Mir persönlich geht es auf Konzerten und mit Bands schon lange nicht mehr so.

Aber bei Sportclubs beobachte ich ähnliches. Egal, ob ich mit zu den Eisbären geschleppt werde, mir ein Fußballspiel vom SV Babelsberg 03 oder Tennis Borussia ansehe oder in Dublin bei einer Rugbypartie zuschaue: Immer habe ich spätestens in der Pause den Impuls, mir einen Schal, ein Trikot oder ein T-Shirt kaufen zu wollen, dazugehören zu wollen. Ich mache das dann nicht. Weil ich finde, dass man sich das auch ein bisschen verdienen muss und das stolze Tragen solcher Fanartikel nur Leuten zusteht, die den jeweiligen Club schon ein bisschen länger supporten als 45 Minuten. Altkanzler und Putin-Kumpel Schröder war ja z.B. berühmt dafür, dass er sich von Cottbus bis Bottrop wechselnde Fanschals umwerfen konnte, ohne mit der Wimper zu zucken. Kann jeder machen, wie er will. Ich finde das falsch, aber der Impuls ist da.

Denn wenig schafft so schnell ein Gefühl von Zugehörigkeit wie ein Besuch einer Sportveranstaltung oder eines Konzerts. Alle gucken auf die Bühne oder auf die Spielfläche, jubeln in demselben Moment, fühlen ähnlich. Wenn man dann noch so ähnlich aussieht wie die anderen, weil man das Symbol der Zugehörigkeit um den Hals trägt, den Fan-Schal, hat man für diesen Moment eine ganze riesige Familie neben sich, einen endlosen Freundeskreis. Fragen Sie mal Leute, die ansonsten viel Pech im Leben hatten oder gerade eine schwere Phase, was ihnen das bedeutet, gemeinsam mit anderen im Stadion oder in der Konzerthalle zu stehen.

Es gibt coole Musikkreise, da ist das Tragen von Bandshirts absolut verpönt, es gibt Menschen, die schauen herab auf Leute in Fußballfankleidung. Sie haben keine Ahnung, wie viel Verbindung, Liebe, Heimat und Identität sowas geben kann. Man braucht nur ein bisschen Herzblut und ein paar Euro - und ist nicht mehr allein. Das ist doch geil.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.