Neil Tennant und Chris Lowe von den Pet Shop Boys
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100 Sekunden Leben - Gerettet von den Pet Shop Boys

Am Freitag erscheint das neue Album der Pet Shop Boys. "Nontheless" heißt das Werk des britischen Pop-Duos, das nun schon seit 40 Jahren Hits produziert. Zum Glück für unseren Kolumnisten Thomas Hollmann.

Die Pet Shop Boys haben mich gerettet. Damals in Heidelberg. Ich war Mitte der 80er-Jahre dort und wollte gleich wieder weg. In den Öko-Kneipen lief Heinz Rudolf Kunze. Sadé säuselte in Cafés, in denen Kinder reicher Eltern auf Etikette machten. Und Studenten schlagender Verbindungen grölten aus offenen Fenstern, wenn sie aus selbigen nicht gerade kotzten. Ich habe den Sound von Heidelberg gehasst.

Aber dann entdeckte ich das "Whisky a Go Go", eine Schwulenbar in der Oberbadgasse. Und da lief "West End Girls". Ich hörte das Lied und war glücklich. Endlich Musik, die mich nicht wütend machte. Ich habe getanzt, bis das Deckenlicht anging.

Ich war fast jeden Tag im "Whiskey". Auch wenn der Zucker-Pop der Pet Shop Boys und von Frankie goes to Hollywood und Soft Cell eine Spur zu schwülstig ist. Aber die Musik nahm sich nicht ernst. Und viele Schwule genauso wenig. Und das mochte ich.

Ich hätte verstanden, wenn Wally, dem das "Whiskey" gehörte, gesagt hätte: Du nicht. Denn das ist - wenn man so will - kulturelle Ausbeutung: die Party mitnehmen, aber keine Angst haben müssen, von Schwulenhassern auf die Fresse zu kriegen. Aber ich durfte weiter mittanzen und alles war lässig.

Neil Tennant und Chris Lowe wurde häufig vorgeworfen, unpolitische Hedonisten zu sein. Aber Stil zu haben, ist auch politisch. Ansonsten wäre tuntig sein in Diktaturen nicht verboten. In Heidelberg war es das damals so halb.

Inzwischen ist die Stadt viel lässiger geworden. Auch wenn es das "Whiskey a Go Go" schon lange nicht mehr gibt. Dafür gibt es andere coole Läden. Und beim letzten Mal habe ich nirgendwo Heinz-Rudolf Kunze gehört. Und auch keine kotzenden Studenten. Das macht mir Mut, dass am Ende die Pet Shop Boys gewinnen.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.