Festnetztelefon
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100 Sekunden Leben - Die Angst vor dem Festnetztelefon

Unser Kolumnist Thomas Hollmann hatte vor kurzem erklärt, dass er nicht mehr vorgestrig sein will und deshalb überlegt, sein Zeitungsabo zu kündigen. Und damit nicht genug: Das Festnetztelefon will er jetzt auch noch kündigen.

Würde es eine Steigerungsform von "retro" geben, ich würde sagen: Festnetztelefone sind noch retroer als Tageszeitungen. Und ich meine keine Apparate mit Wählscheibe. Unser Festnetztelefon hat Tasten und sieht aus wie ein zu groß geratenes Handy. Trotzdem erschrecke ich jedes Mal, wenn es klingelt.

Was selten vorkommt. Deshalb erschrecke ich ja so: Wer kann das sein? Das Krankenhaus, das Bestattungsinstitut oder die Frau von der Reinigung, die den Mantel wiedergefunden hat, den ich 1998 bei ihr abgegeben habe? Normale Menschen rufen jedenfalls nicht auf dem Festnetz an. Dafür müssten sie ja die Nummer haben.

Haben sie aber nicht. Oder nicht mehr. Denn der Hollmann wird ja wohl nicht derart vorgestrig sein, eine Tageszeitung zu abonnieren und dazu auch noch Geld für ein Telefon auszugeben, vor dem er Angst hat.

Und nicht nur ich. Schreckt das Pseudo-Handy doch auch die anderen Mitbewohner auf. Weiß doch keiner, wem dieses unnachgiebige Klingeln gilt. Aber lässt man das Telefon einfach weiterklingeln, macht man sich verdächtig, da könnte jemand dran sein, von dessen Existenz die Anderen besser nichts erfahren sollten, etwa weil er intime Kenntnisse über einen hat. Also gehe ich ran.

Ob ich zehn Minuten Zeit für eine Umfrage hätte, fragt mich eine Frau durchaus freundlich. Trotzdem sage ich "nein" und lege auf. Vielleicht bin ich inzwischen einfach zu ungeübt in der Festnetztelefonie. Ich hätte wenigstens fragen können, welches Thema die Umfrage hat. Das wird nun ein ewiges Geheimnis bleiben. Wie ich auch nicht erfahren werde, wie die Frau an meine Festnetznummer gekommen ist. Und das hätte ich schon gerne gewusst. Vor allem auch, welche Rolle dabei meine alte Reinigung gespielt hat – und welche der russische Geheimdienst.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.