Tennisbälle auf dem Rasen eines Fußballstadions
IMAGO/Uwe Koehn
Bild: IMAGO/Uwe Koehn Download (mp3, 3 MB)

100 Sekunden Leben - Urdemokratische Schokotaler und Tennisbälle

An diesem Wochenende werden in deutschen Stadien wieder Tennisbälle auf den Rasen fliegen. Und auch wenn Sie kein Fußballfan sind: das sollte Sie interessieren. Denn es geht um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit unserer demokratischen Kultur. Von Hendrik Schröder

Kurz zum Setting: Die deutsche Fußball Liga DFL hat nach einer geheimen Abstimmung unter allen Vereinen der ersten beiden Ligen entschieden, dicke Investoren ins Boot zu holen. Dadurch fließt viel Geld, sehr viel Geld. Der gemeine Fan wird davon nichts haben. Noch mehr Spiele zu noch mehr Anstoßzeiten, noch mehr Marketing und Show, weniger purer Fußball. Das ist das realistische Szenario.

Das Perfide: Das Pro Investor Voting ist nach aktuellem Sachstand höchstwahrscheinlich zustande gekommen, weil der Abgesandte von Hannover 96 gegen den erklärten Willen des Vereins gestimmt hat. Gegen die Fans, gegen alle, gegen seinen Auftrag. Ein Skandal. Ein Mittelfinger, und kleiner geht es nicht, ins Gesicht aller überzeugter Demokraten.

Und jetzt läuft die aktive Fanszene in Deutschland Sturm. Gegen diesen Trumpesken Akt der Rechtsverdrehung. Dagegen, dass sie, die zu abertausenden jedes Wochenende die Stadien bunt und laut und aufregend machen mit ihren Choreos, ihren Gesängen, ihrer Liebe zum Verein, egal sind. Dass niemand mit ihnen redet und nach ihren Wünschen, Bedenken und Bedürfnissen fragt und stattdessen ein einziger Multimillionär die Macht hat, den Profifußball in Deutschland zu einer Eventmaschine zu machen. Einer. Gegen alle. Nur andersrum. Also moralisch gesehen.

Und die Fans werfen Tennisbälle, Schokotaler, Bananen auf die Spielfelder. So massiv, dass die Spiele teils kurz vor dem Abbruch stehen. Sie sind friedlich. Sie werfen Dinge, die niemanden verletzen, die massiv stören, aber nicht weh tun. Sie zündeln nicht, sie prügeln nicht, sie werfen Tennisbälle, Obst und Süßigkeiten. Wie smart.

Viele Medien, auch manche öffentlich-rechtliche Reporter nennen sie Chaoten, Spinner, weltfremde Romantiker. Wie vermessen. Diese Fans wollen mitreden, mitbestimmen. Denn sie sind viele, sie sind vielleicht sogar die Mehrheit. Urdemokratisch ist das. Genau wie der friedliche Protest den sie in die Stadien tragen. Wer das als Wichtigtuerei unter Fußballprolls abtut, hat offenbar überhaupt nicht verstanden, dass eine demokratische Gesellschaft viel mehr bedeutet, als alle vier Jahr irgendwo ein Kreuz zu machen und ansonsten die Schnauze zu halten.

Auch auf rbb24inforadio.de

Fanprotest - Torwart Vincent Müller (MSV Duisburg) räumt sein Tor von Klopapierrollen frei (Bild: IMAGO/Maik Hölter/TEAM2sportphoto)
IMAGO/Maik Hölter/TEAM2sportphoto

Sport - Wieder Fan-Proteste am Wochenende?

In der 1. und 2. Fußball-Bundesliga gab es zuletzt fast kein Spiel, in dem die Fans nicht gegen den möglichen Investoreneinstieg bei der Deutschen-Fußball-Liga protestiert haben. Sie fordern eine neue DFL-Abstimmung aller Vereine. Die Fronten sind komplett verhärtet, einen Dialog zwischen Fans und DFL gibt es nicht. Von Tim Brockmeier

Tennisbälle liegen im Berliner Olympiastadion.
IMAGO / Matthias Koch

Sport - Unter Tennisballprotest: Hertha verliert gegen den HSV

Das war kein glanzvoller Abend für Hertha BSC: Am Ende stand ein 1:2 gegen den Hamburger SV in der Bilanz - und die Hertha-Fans sorgten für lange Verzögerungen in der zweiten Halbzeit. Sie warfen immer wieder Tennisbälle auf den Platz, um gegen den geplanten Investoreneinstieg zu protestieren. Von Philippp Höppner