100 Sekunden Leben - Auf die Barrikaden!
Kein Bus, keine U-Bahn, bis 10 Uhr rollt in Berlin nichts. Der Streik bei der BVG legt die Stadt am Freitag mal wieder teilweise lahm. Nachdem tagelang die S-Bahn stillstand und am Donnerstag vom Flughafen BER kein Flugzeug abhob. Unser Kolumnist Thomas Hollmann fragt sich, woher dieser neue Spaß am Ausstand kommt.
Sind wir Deutsche vielleicht insgeheim Franzosen? Bei denen gehört es schon seit Jahrhunderten zum guten gesellschaftlichen Ton, auf die Barrikaden zu gehen. Und das tun wir Deutschen jetzt ja auch. Zwischenzeitlich hatte ich den Überblick verloren, wann welches Verkehrsmittel vom wem wie lang gleich nochmal bestreikt wird. Dabei sind die Piloten noch gar nicht richtig eingestiegen in das neue Gesellschaftsspiel: "Wer legt Deutschland am lahmsten?"
Man könnte daraus ein Brettspiel machen, eine Art Gegen-Monopoly. Und wer auf der Weselsky-Allee sein Gewerkschaftsbüro eröffnet, hat gewonnen. Das muss man dem Lokomotivführer-Führer lassen. Der Weselsky hat den Arbeitskampf hierzulande auf ein neues Niveau gehoben. Ein Streik, der keine Woche dauert, ist im Prinzip keiner mehr.
Und warum sollten die Piloten nicht zwei Wochen streiken? Und die Müllmänner drei? Und die Erzieherinnen vier? Mir fällt kein Grund ein, der dagegenspräche. Na, das wird ein schönes Geschrei, in den Wohnungen, den stinkenden. Und davor hupen sich die Bauern die Daumen auf ihren Treckern wund.
Offensichtlich stehen die Zeichen auf Protest und nicht mehr auf Konsens und Kompromiss. Nur, warum? Okay, das ist ziemlich langweilig, sich zu einigen und diese ewig langen Verhandlungsrunden abzuwarten. Aber man kam zumindest von A nach B.
Es gibt Soziologen, die sagen, der Protest sei eine Reaktion auf die schlaftrunkenen Merkel-Jahre. Mich beunruhigt das, ehrlich gesagt. Misstraue ich eruptiven Menschen mal grundsätzlich. Und die Deutschen sind im Gegensatz zu den Franzosen wenig geübt im Barrikadenkampf. Nicht, dass welche von oben runterfallen und sich noch was brechen.