100 Sekunden Leben - Auf einmal Gentrifizierer
Nicht nur Berlin hat ein Problem mit Wohnraum. Auch das vermeintliche Paradies Kanarische Inseln. Wie unser Kolumnist und Kanaren-Fan Hendrik Schröder ganz konkret feststellen musste.
Ich bin gerade einen Monat auf den Kanaren. Dem Winter und der Vorweihnachtszeit entfliehen und bei angenehmen 22 Grad remote arbeiten - es ist ein Traum. Der jetzt massiv gestört wurde. Sie müssen sich vorstellen: Ich bin in einer kleinen Wohnung in einem kleinen Ort, abseits der Touri-Zentren, hier gibt es nicht viel und nichts Besonderes und manchmal hört man den Flughafen, aber die Wohnung ist direkt am Meer, mit Balkon zu den Wellen, Einbauküche, Internet, alles da, mehr braucht kein Mensch. Einfach, aber okay. Hier könnte man auch dauerhaft leben.
Und das würden viele kanarische Familien auch. Aber das geht nicht, weil ich die Wohnung ja besetze. Also "Ich" jetzt stellvertretend für "die Touristen". Auch wenn man sich gar nicht wie ein Tourist fühlt, wenn man hier so lange rumhängt, aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass auch im Paradies die Mieten explodiert sind und die Wohnungen knapp werden. Da macht man sich ja vorher kein Bild davon, mietet was übers Internet, gar nicht so teuer, aber klar: So viel wie ich in meinem Auszeitmonat mit meinem deutschen Einkommen kann eine kanarische Familie nicht zahlen. Die Löhne sind hier viel niedriger.
Und zack bin ich der Böse, der Vetreiber, der Gentrifizierer…ohne das gewollt oder überhaupt bedacht zu haben. Verdammt. Gleichzeitig bringe ich natürlich auch Geld auf die Insel und verschaffe meinem Vermieter, einem jungen Typen von hier, ein Auskommen. Es ist kompliziert.
Ich habe gelesen, wie deutsche Auswanderer auf der Suche nach Wohnraum im Internet beschimpft werden, dass sie hier alles kaputt machen würden. Ich habe die Graffitis gesehen: "Tourists go home". Ich habe die Blicke der Leute in meinem Kaff hier gespürt: Was will er denn hier? Und ich habe an Berlin gedacht. Wie da so viel kaputt gegangen ist, weil viel zu schnell viel zu viel verramscht und verkauft und vermarktet wurde und die Stadt oft gar nicht mehr denen gehört, die sie ihre Heimat nennen. Es gibt einfach kein richtiges Leben im falschen. Auch nicht im Paradies.