100 Sekunden Leben - Corona am Nachbartisch
Mit der herbstlichen Kälte und Nässe breiten sich auch die Infektionskrankheiten wieder aus. Unser Kolumnist Thomas Hollmann beobachtet das Revival von Corona und dass das Virus offensichtlich seinen ideologischen Schrecken verloren hat.
Ich war kürzlich beim Italiener und habe meine Tischnachbarn belauscht. Ich wollte das gar nicht, aber bei meinem Italiener sitzt man so eng beieinander, da könnte man die Spaghetti des Nachbarn auch selber salzen. Den Streuer muss man da gar nicht rüberreichen. Außerdem haben sich die Männer sehr angeregt unterhalten, um nicht zu sagen: laut. Was möglicherweise an deren Rotwein-Konsum lag.
Die Vier hatten wohl beruflich miteinander zu tun. Ich hörte die Wörter "Büro", "Kollege" und "Flachpfeife". Da wollte ich mich noch aufs Essen konzentrieren. Aber dann sagte einer: "Corona". Oh, ha! Sollte die Runde etwa eskalieren? Corona hat schon so manche Kollegenschaft entzweit. Und dass das Virus zurück ist, sagt nicht nur der Lauterbach, sondern auch Edeka. Letztens waren da Corona-Masken im Angebot.
Ob sie sich nochmal impfen lassen wollen, fragte einer der Männer. Wahrscheinlich nicht, meinte der neben ihm. Er habe schon Corona gehabt und das sei nur wie eine Erkältung gewesen. Vielleicht sei das aber nur deshalb eine Erkältung gewesen, weil er geimpft war, versuchte der Dritte am Tisch zu ergründen. Während der Vierte auf keinen Fall Long-Covid bekommen wollte, ob geimpft oder ungeimpft. Und dann war das Thema durch und es wurde über Autos geredet.
Und das hat mich doch erstaunt, dass Corona inzwischen so unideologisch daherkommt. Man kann darüber diskutieren, ohne vom anderen ein Staats- und Wissenschaftsbekenntnis zu verlangen. Genauso wenig muss man in eine zwanghafte Obrigkeits-Gegnerschaft verfallen. Tatsächlich lässt sich Corona abwägen und aushalten. Ich finde das super. Vielleicht sollte ich noch häufiger bei meinem Italiener essen gehen.