Ich nehme das Briefgeheimnis sehr ernst. Niemals würde ich unbefugt Post öffnen, die an jemand anderen adressiert ist. Diese Gesetzestreue verursacht mir neuerdings häufig Probleme. Neulich stand ich minutenlang ratlos vor meinem Briefkasten, unschlüssig, ob das Schreiben, das ich grad herausgeholt hatte, für mich bestimmt war oder nicht. Adressiert war es "An alle, für die Glasfaser bald Realität wird". Puh, keine Ahnung, dachte ich, das mit dem Internetanschluss ist doch Sache meines Vermieters.

Ich schob die Entscheidung auf und sah mir den nächsten Brief an. Im Adressfeld stand "An alle, die gutes Essen lieben". Jawohl, dachte ich erleichtert, das trifft auf mich zu. Andererseits: Wer würde von sich selbst das Gegenteil behaupten?! "Ich esse gerne schlecht", das sagt doch keiner!

Beim dritten Brief dagegen wusste ich sofort: Der konnte keinesfalls an mich gerichtet sein. "An Alle, die mit der Zeit gehen", stand darauf. Ich gehe nicht mit der Zeit, ich gehe auf den Flohmarkt und kaufe dort altmodische Glühbirnen, weil ich das Licht der modernen LED-Leuchtmittel nicht ertrage, nein, auch nicht das Warmlicht, das ist grün, weil die das Blaulicht mit Gelb ausgleichen wollen.

Wo war ich? Ach ja, am Briefkasten. Liebe Werbetreibende: Das mit den Adressen geht so nicht weiter. Hiermit verkünde ich Euch allen meine korrekte Anschrift. Achtung, sie ist etwas lang. Sie lautet: "An alle, die erschöpft nach Hause kommen, den Briefkasten öffnen und dann erstmal einen Haufen Werbepost aussortieren müssen, von der die Hälfte auf den Boden fällt, während irgendein wichtiger Brief zwischen die Werbung rutscht und so am Ende im Altpapier landet".

Das war meine Adresse – vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.