Das Fahrrad ohne Sattel von Thomas Hollmann
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100 Sekunden Leben - Der Sattel

In Berlin werden im Durchschnitt täglich 70 Fahrräder gestohlen. Unser Kolumnist Thomas Hollmann hatte bislang Glück. Aber jetzt ist ihm sein fahrbarer Untersatz abhandengekommen – zum Teil zumindest.

Dass der Sattel fehlte, merkte ich erst, als ich mich draufsetzen wollte. Glücklicherweise fehlte auch die Sattelstütze. Auf diesem steilen Rohr wäre ich nur sehr ungerne gelandet. Aber es tat auch so weh genug.

Als der Schmerz nachließ fragte ich mich, wer in aller Welt einen kaputten Sattel klaut. Zwei lange Risse hat meiner. Bei Regen ist das ein quietschender Schwamm.

Einen ersten Hinweis auf das Diebes-Motiv erhielt ich im Radladen. Welchen Durchmesser die Sattelstütze habe, wollte der Fachverkäufer wissen. Es gebe 24 unterschiedliche. "24?" "Ganz genau."

Ich versuchte es mit 28,8 Millimetern. Die Montage zuhause missglückte allerdings. Das Rohr, das den Sattel mit dem Rahmen verbindet, verschwand ohne weiteren Kommentar im Rahmeninneren. 28,8 war offensichtlich zu schmal.

"Kalibrierbuchsen", beschied mir der Fachmann, als ich wieder vor ihm stand. Das seien Blechhülsen mit unterschiedlichen Wandstärken. Man stecke immer eine mehr rein, bis die Sattelstütze klemmt und nicht mehr rutscht.

Sollte es der Dieb gar nicht auf meinen Sattel, sondern auf die Stütze abgesehen haben? Aber wie konnte er wissen, dass meine Stütze die für ihn passende ist? Hatte er hellseherische Fähigkeiten? Und wer hatte ihm die Stütze gestohlen? Und sollte ich diese Diebstahlsserie möglicherweise fortsetzen, um nicht ein halbes Dutzend Blechhülsen in den Rahmen zu stopfen?

"30,9" unterbrach mich der Verkäufer. 30,9 würde auch häufig passen. Auf Verdacht nahm ich die 30,9 mit. Und es war tatsächlich die richtige. Ein Sattelstützen-Wunder! Über das ich mich nicht wirklich freuen kann. Denn der neue Sattel ist viel zu breit.