Interview - Türkei-Experte: "Riecht nach Putsch von oben"
Der türkische Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu ist wegen des Vorwurfs der "Terroristenunterstützung" festgenommen worden. Für Dawid Bartelt von der Heinrich-Böll-Stiftung sieht Schock im Land.
In der Türkei hat die Justiz im Zuge einer groß angelegten Razzia den führenden Oppositionspolitiker Ekrem İmamoğlu festgenommen - nur wenige Tag bevor er zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2028 ernannt werden soll. İmamoğlu gilt als aussichtsreichster Herausforderer des Amtsinhabers Erdogan. Seine Partei, die Sozialdemokraten, warnen vor dem Versuch eines Staats-Streichs.
Bartelt: "Alles sind ein bisschen geschockt"
Dawid Bartelt leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. "Wir sind ja einiges gewohnt hier in der Türkei", sagt er. "Aber in der Tat riecht das ein bisschen nach einem Putsch von oben und selbst die Menschen, die eigentlich auf alles eingestellt sind, sind davon total überrascht worden. […] Im Moment sind alle noch so ein bisschen geschockt."
Vorgeworfen wird İmamoğlu "Terrorunterstützung". Das sei "das am meisten angewendete Instrument innerhalb des ziemlich umfangreichen Arsenals an rechtlichen oder pseudorechtlichen Verfahren, die der Regierung an der Hand sind, um missliebige, oppositionelle, kritische Stimmen auszuschalten", sagt Bartelt.
Immer die selbe Gleichung: "Kurde ist gleich Terrorist"
Dabei sei die Gleichung immer dieselbe: "Kurde ist gleich Terrorist, […] Mitglied der DEM-Partei ist gleich Unterstützer der PKK ist gleich Terrorist. […] Das muss man auch gar nicht im Einzelnen nachweisen, das funktioniert einfach als eine logische Gleichung." Die Gefängnisse in der Türkei seien voll von Menschen, die so inhaftiert worden seien.
Laut Bartelt sei İmamoğlu Erdogan politisch wirklich gefährlich. "Je früher er den aus dem Weg räumt, desto besser für ihn. Und vielleicht heißt das ja auch, dass er sein Ziel, vorgezogene Neuwahlen durchzuführen, ziemlich bald umsetzen will, um sich selbst ein verlängertes Mandat zu verschaffen." Denn nur bei vorgezogenen Neuwahlen darf Erdogan erneut antreten.