Detailaufnahme von mehreren Krankenkassenkarten.
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Interview - Gesundheitsökonom zu KV-Finanzierung: Habeck hat richtigen Punkt angefasst

Ein Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Krankenkassenfinanzierung sorgt für Kritik. Gesundheitsökonom Heinz Rothgang sagt, grundsätzlich gehe der Vorschlag in die richtige Richtung. Allerdings greife er nur einen von drei Faktoren auf.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat vorgeschlagen, die Krankenkassen künftig anders zu finanzieren: nämlich über Sozialabgaben auf Kapitalerträge. Das sorgte prompt für Kritik aus den Reihen von Union, FDP und AfD.

Heinz Rothgang, Gesundheitsökonom an der Universität Bremen, beschreibt zunächst die Problemanalyse: Seit etwa 1990 wachsen demnach die Ausgaben für ein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in etwa so wie das Bruttoinlandprodukt. "Wir hätten überhaupt kein Problem, wenn alles, was wir erwirtschaften in diesem Land, auch beitragspflichtig wäre", so der Experte.

Allerdings seien nicht alle Menschen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, insbesondere die Einkommensstarken nicht". Außerdem würden hohe Einkommen über 5500 Euro im Monat nicht verbeitragt. "Und es sind nur die Arbeitseinkommen beitragspflichtig".

Rothgang: Finanzierung der Krankenkassen ungerecht und mit Leistungsprinzip unvereinbar

 

In einem Rechenbespiel erklärt der Ökonom: Wenn jemand 4000 Euro durch Entlohnung verdient, so werde die Person auch in Höhe von 4000 Euro belastet. Verdiene eine andere Person 2000 Euro durch Entlohnung und dann noch 2000 Euro durch Mieteinnahmen, Kapitalerträge oder Erbe, werde diese Person nur halb so hoch belastet. "Das ist natürlich mit dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit, der eigentlich für die Finanzierung herangezogen wird, unvereinbar", so Rothgang.

"Wir haben da eine Ungerechtigkeit und da hat Habeck schon einen richtigen Punkt angefasst." Allerdings habe der Grünen-Wirtschaftsminister in seinem Vorschlag nur einen von drei wesentlichen Faktoren für die KV-Finanzierung angefasst. "Wenn man jetzt nur die Kapitalerträge zusätzlich verbeitragt, [...] dann haben wir tatsächlich den Effekt, dass das für die Menschen, die sehr viel verdienen, gar keinen Effekt hat, weil die Beitragsmessungsgrenze für die sowieso schon die Belastung abschneidet."

Vorschlag: Alle drei Faktoren gleichzeitig einbeziehen

 

Das Konzept werde viel stärker, wenn man alles gleichzeitig macht: Dafür müsste die Beitragsbemessungsgrenze erhöht werden, auch die privat Krankenversicherten müssten in die Sozialversicherung einzahlen und alle Einkommen wie Kapital- und Mieteinnahmen müssten belastet werden. "Dann ist das Ganze eine runde Sache."

Im Praktischen müsste man zudem Sparerfreibeträge wie in der Einkommenssteuer für kleinere Sparbeträge einführen. "Wenn man das vernünftig umsetzt, würde man sich in vielen Punkten an der Einkommenssteuer orientieren."

Gesundheitsökonom zu KV-Finanzierung: "Noch sehr viel mehr auf Ausgabenseite tun."

 

Mit Blick auf die alternde Bevölkerung und den medizinisch-technischen Fortschritt müsse man sich darauf einstellen, "das Ganze wird teurer. Da geht kein Weg dran vorbei". Es gibt laut dem Ökonom aber auch Effizienzreserven im Gesundheitssystem.

So müsse die Prävention und Gesundheitsförderung gestärkt werden. Der Experte rät auch zu einer sektorübergreifende Versorgung. "Man könnte auf der Ausgabenseite noch sehr viel mehr tun." Außerdem müsse es Verbesserungen an der Schnittstelle zwischen sozialversicherungs- und steuerfinanzierten Leistungen geben, so Rothgang.

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