Interview - Syrien-Expertin: Syrer zwischen Hoffnung und Zukunftsangst
In Syrien haben die Rebellen das Assad-Regime förmlich überrannt. Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung beobachtet, wie bei vielen Syrern die Angst abfalle, aber auch Sorge wegen der ungewissen Zukunft.
Das Assad-Regime in Syrien ist gestürzt. Die Rebellenallianz unter Führung der HTS hat am Sonntag Damaskus eingenommen. Machthaber Assad ist mit seiner Familie nach Russland geflohen. Auf den Straßen sieht man feiernde Menschen. Doch in den Jubel mischt sich die Sorge, wie es mit dem Land weitergeht.
Erstaunlich war vor allem, wie schnell am Ende alles ging. Bente Scheller, Syrien-Expertin der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, sieht dafür mehrere Gründe: "Das ist einerseits dadurch zu erklären, dass die Rebellen sehr lange trainiert haben, also HTS und die Verbündeten […] haben sich lange darauf vorbereitet. […] Das ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass das Regime einfach auf tönernen Füßen stand."
Verbündete sahen keine Möglichkeit mehr, Assad zu stützen
Ressourcen und Personal seien aufgerieben gewesen durch den langen Krieg, so Scheller, die Armee sei enttäuscht und schlecht bezahlt gewesen: "Die sah jetzt keinen Grund, da zu bleiben. […] Das Vertrauen in Assad und seinen Willen, für seine Leute einzustehen, war damit sehr gering."
Russland und der Iran hatten lange Zeit Assad unterstützt, sähen mittlerweile aber keine Möglichkeit mehr, ihn so zu stützen, dass er die Macht halten könne, so die Expertin: "Es gab ja nie erkennbare Versuche und erfolgreiche Bemühungen des Regimes, tatsächlich wieder Herrschaft herzustellen in den wiedereroberten Gebieten. […] Da sahen, glaube ich, auch die Verbündeten dann keine Möglichkeit, da jetzt für Assad diese Kohlen aus dem Feuer zu holen."
Scheller erwartet langen und schmerzhaften Aufarbeitungs-Prozess
In der Bevölkerung herrsche nun sehr viel Erleichterung, dass das Regime, das mit großer Brutalität geherrscht hatte, jetzt verschwunden sei: "Man merkt es auch wirklich daran, wie hier von Syrerinnen und Syrern die Angst abfällt. […] Das sind große Hoffnungen, die sich damit verbinden – aber auch die Angst vor der Ungewissheit dessen, was kommt – und natürlich vor der islamistischen Prägung von HTS."
Die HTS-Führung hatte einen "geordneten Übergang" in Aussicht gestellt. Scheller sieht auch tatsächlich einige Anzeichen dafür. So gebe es Versicherungen, die Minderheiten gegeben wurden. Was nun folgen müsse, sei ein schmerzhafter Prozess der Aufarbeitung und die Klärung der Frage, wie die Macht künftig verteilt werden solle.