Interview - Syrien-Expertin: Assad-Regime in desolatem Zustand
Aufständische Islamisten in Syrien haben Aleppo erobert. Die Syrien-Expertin Kristin Helberg sieht Freude und Skepsis in der Bevölkerung – und Angst vor der Rache des Regimes.
Was passiert in Syrien? Mitte vergangener Woche hatte eine Allianz von Assad-Gegnern unter der Führung der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) eine Offensive im Nordwesten Syriens begonnen und am Wochenende die Kontrolle über Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes, übernommen. Die syrischen Regierungstruppen und russisches Militär haben mit Luftangriffen reagiert.
Tatsächlich habe diese Entwicklung viele Menschen auf allen Seiten überrascht, sagt die Politikwissenschaftlerin Kristin Helberg, die lange in Syrien gelebt hat. "Wir sehen, dass das Regime so von innen ausgehöhlt ist, dass es zusammengebrochen ist. Und das zeigt auch den desolaten Zustand, in dem sich das Assad-Regime befindet, das ohne seine Unterstützer nicht in der Lage ist, an der Macht zu bleiben."
Die Erfolge der Aufständischen hat zu unterschiedlichen Reaktionen in der Zivilbevölkerung gesorgt, sagt Helberg: Einerseits misstrauten die Menschen der als extremistisch geltenden Miliz, andererseits haben sich deren Anführer am Wochenende gemäßigt und vernünftig geäußert, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Außerdem gebe es die Angst vor der Reaktion des Regimes, das ja eine Zurückeroberung der Stadt Hilfe der russischen Luftwaffe angekündigt hat. "Das erinnert dann sehr schnell an das, was 2015 und 2016 mit dieser ganz furchtbaren Zerstörung passiert ist."