Interview - Autoritarismus-Studie: Ost und West driften nach rechts ab
Deutsche in Ost und West werden rechtsextremer, ausländerfeindlicher und demokratieskeptischer, sagt die Leipziger Autoritarismus-Studie. Mitautorin Fiona Kalkstein sieht mehrere Gründe dafür.
Seit 20 Jahren untersucht die Leipziger Autoritarismus-Studie die Einstellung der Deutschen zu Themen wie Ausländerfeindlichkeit und Demokratie-Skepsis. Jetzt schlagen die Forscher Alarm: Eine bedrohliche Entwicklung für unsere Demokratie zeichnet sich ab. Die Menschen in Ost und West werden immer rechtsextremer, ausländerfeindlicher und stellen die Demokratie immer mehr in Frage.
Für die Sozialpsychologin Fiona Kalkstein von der Uni Leipzig, Mitautorin der Studie, gibt es nicht "die eine einfache Erklärung" für die Entwicklung: "Es kommen viele Faktoren zusammen." Zum einen gäbe es stark verunsichernde Entwicklungen in der Gesellschaft: "Lange galt: […] Wer sich anstrengt, also hart arbeitet, der bekommt auch etwas zurück, im Sinne eines gewissen Lebensstandards."
Mit sinkendem Lebensstandard wachsen Neidgefühle und Ressentiments
Auch wenn die wirtschaftliche Lage der meisten noch gut sei: Durch Inflation und Gas-Krise können sich viele Menschen nicht mehr das leisten, was sie sich leisten konnten. "Dieses neoliberale Versprechen geht in dieser Form nicht mehr auf", sagt die Forscherin. "Und wenn dieses Versprechen nicht mehr aufgeht, also auf die Belohnung für die harte Arbeit, dann steigen natürlich auch Ohnmachtsgefühle, Neidgefühle und damit auch Ressentiments. Und solche Ressentiments können sich auch gegen die Demokratie selbst richten."
Das Ergebnis: Fast die Hälfte der Menschen in Ost und West wünscht sich Führung durch eine starke Partei, ein Viertel gleich mit Führer dazu. "Wir hatten es die letzten drei Jahre mit einer Regierung zu tun, der es nicht gelungen ist, sich auf eine politische Linie zu einigen", sagt Kalkstein. Das habe den Eindruck verstärkt, "dass das demokratische Aushandeln von Interessenswidersprüchen kontraproduktiv ist und auch zu nichts führt"“
Starke Führung geht immer auf Kosten der individuellen Freiheit
Der Wunsch bei einem Teil der Bevölkerung nach einer starken Führungsperson, sei jedoch nicht zu Ende gedacht, "dass ein starker Führer und auch eine homogen gehaltene Volksgemeinschaft immer auf Kosten nicht nur der individuellen Freiheit geht, sondern auch der eigenen menschlichen Individualität", sagt die Psychologin.
Seit der letzten Erhebung vor zwei Jahren sind insbesondere im Westen Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus deutlich gestiegen. "Es ist so, dass wir mit der AfD eine Partei haben, die auch ein Politikangebot macht, das Fremdenfeindlichkeit und andere destruktive, demokratiefeindliche Motive, die in der Gesellschaft vorhanden sind, aufgreift und gezielt in ein extrem rechtes Weltbild einbettet." Dies sei der AfD bislang vor allem im Osten gelungen, man müsse aber davon ausgehen, dass es ihr vermehrt auch im Westen gelingen werde.