Der Fall Gisèle Pélicot - Psychologin: Müssen Männer sozialisieren, nicht übergriffig zu werden
Die Französin Gisèle Pélicot stellt sich im Missbrauchsprozess ihren Vergewaltigern. Die Psychologin Charlotte Hirz erklärt, warum dieser Schritt bewundernswert ist. Sie spricht von einem strukturellen Problem, bei dem Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich verankert ist.
Über Jahre wurde Gisèle Pélicot von ihrem Mann unter Drogen gesetzt. Als sie bewusstlos war, wurde sie von ihm und mindestens 50 anderen Männern vergewaltigt. Der inzwischen Ex-Mann hat das gefilmt. Pélicot wünscht sich einen öffentlichen Prozess. Sie sagt: die Scham muss das Lager von den Opfern auf die Täter wechseln.
Der Mut und die Stärke Pélicots seien bewundernswert, sagt Charlotte Hirz, Psychologin beim Berliner Frauenschutzdienst LARA – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen. "Sich der Gewalterfahrung und den Tätern zu stellen, das kostest sehr viel Kraft und sehr viel Mut", so Hirz.
Hirz: Frauen werden erzogen, für ihre Sicherheit verantwortlich zu sein
Einer der Gründe, dass Opfer Scham empfinden, sei die Sozialisierung. In der weiblichen Sozialisierung werde früh gesagt, man sei für die eigene Sicherheit verantwortlich. Dazu zählen Hinweise wie: "Pass auf dich auf, zieh keine zu knappen Sachen an oder schlag die Beine übereinander." Dies führe dazu, dass viele internalisieren, sie seien dafür verantwortlich, ob ihnen Gewalt angetan wird oder nicht.
Die Psychologin betont, dass die Gewalt, die im Fall Pélicot verhandelt wird, tagtäglich passiert und nicht aufgedeckt wird. Dabei gebe es keinen bestimmten Typ Mann, der gewalttätig wird.
Gewalt gegen Frauen ist gesellschaftlich verankert
Vielmehr gebe es ein strukturelles Problem: "Gewalt gegen Frauen ist so gesellschaftlich verankert, dass es nicht einen spezifischen Typ braucht, sondern eine furchtbare Online-Plattform, wo sich Männer freiwillig aus freien Stücken melden und sich auf so was einlassen."
Sexualisierte Gewalt zeige sich in vielen Formen: Etwa durch sexuelle Belästigung, Blicke, Catcalling, unangemessene Berührungen oder Kommentare: "Alles, was bei Betroffenen das Gefühl auslöst: 'Bei mir wurde gerade eine Grenze überschritten'", so die Psychologin.
Kein Wundermittel gegen Misogynie
Betroffene könnten in den Situationen verbalisieren, dass das Verhalten nicht gewünscht ist. Allerdings verschiebe das die Verantwortung wieder zu den Betroffenen, so Hirz. "Eigentlich geht es darum, die Welt und Männer zu sozialisieren dahingehend, dass sie einfach nicht übergriffig sind."
Der öffentliche Prozess der Französin sei ein Schritt, Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten. Dennoch: "Es gibt kein Wundermittel gegen Misogynie". Wichtig sei es zudem, wenn sich Betroffene offenbaren, ihnen zu glauben und sie zu unterstützen, so die Psychologin.