Gisèle Pélicot im Gericht
picture alliance / abaca | Coust Laurent/ABACA
Bild: picture alliance / abaca | Coust Laurent/ABACA Download (mp3, 13 MB)

Der Fall Gisèle Pélicot - Psychologin: Müssen Männer sozialisieren, nicht übergriffig zu werden

Die Französin Gisèle Pélicot stellt sich im Missbrauchsprozess ihren Vergewaltigern. Die Psychologin Charlotte Hirz erklärt, warum dieser Schritt bewundernswert ist. Sie spricht von einem strukturellen Problem, bei dem Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich verankert ist.

Über Jahre wurde Gisèle Pélicot von ihrem Mann unter Drogen gesetzt. Als sie bewusstlos war, wurde sie von ihm und mindestens 50 anderen Männern vergewaltigt. Der inzwischen Ex-Mann hat das gefilmt. Pélicot wünscht sich einen öffentlichen Prozess. Sie sagt: die Scham muss das Lager von den Opfern auf die Täter wechseln.

Der Mut und die Stärke Pélicots seien bewundernswert, sagt Charlotte Hirz, Psychologin beim Berliner Frauenschutzdienst LARA – Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen. "Sich der Gewalterfahrung und den Tätern zu stellen, das kostest sehr viel Kraft und sehr viel Mut", so Hirz.

Hirz: Frauen werden erzogen, für ihre Sicherheit verantwortlich zu sein

 

Einer der Gründe, dass Opfer Scham empfinden, sei die Sozialisierung. In der weiblichen Sozialisierung werde früh gesagt, man sei für die eigene Sicherheit verantwortlich. Dazu zählen Hinweise wie: "Pass auf dich auf, zieh keine zu knappen Sachen an oder schlag die Beine übereinander." Dies führe dazu, dass viele internalisieren, sie seien dafür verantwortlich, ob ihnen Gewalt angetan wird oder nicht.

Die Psychologin betont, dass die Gewalt, die im Fall Pélicot verhandelt wird, tagtäglich passiert und nicht aufgedeckt wird. Dabei gebe es keinen bestimmten Typ Mann, der gewalttätig wird.

Gewalt gegen Frauen ist gesellschaftlich verankert

 

Vielmehr gebe es ein strukturelles Problem: "Gewalt gegen Frauen ist so gesellschaftlich verankert, dass es nicht einen spezifischen Typ braucht, sondern eine furchtbare Online-Plattform, wo sich Männer freiwillig aus freien Stücken melden und sich auf so was einlassen."

Sexualisierte Gewalt zeige sich in vielen Formen: Etwa durch sexuelle Belästigung, Blicke, Catcalling, unangemessene Berührungen oder Kommentare: "Alles, was bei Betroffenen das Gefühl auslöst: 'Bei mir wurde gerade eine Grenze überschritten'", so die Psychologin.

Kein Wundermittel gegen Misogynie

 

Betroffene könnten in den Situationen verbalisieren, dass das Verhalten nicht gewünscht ist. Allerdings verschiebe das die Verantwortung wieder zu den Betroffenen, so Hirz. "Eigentlich geht es darum, die Welt und Männer zu sozialisieren dahingehend, dass sie einfach nicht übergriffig sind."

Der öffentliche Prozess der Französin sei ein Schritt, Aufmerksamkeit auf das Thema zu richten. Dennoch: "Es gibt kein Wundermittel gegen Misogynie". Wichtig sei es zudem, wenn sich Betroffene offenbaren, ihnen zu glauben und sie zu unterstützen, so die Psychologin.

Es gibt Hilfe

Die Beratungstselle LARA in Berlin bietet eine telefonische Hotline für Betroffene sexualisierter Gewalt an: 030 216 88 88 Montag - Freitag von 9 - 18 Uhr.

Weitere Hilfsangebote bietet das Netzwerk gegen sexuelle Gewalt an.

Betroffene Frauen in Brandenburg finden auch Hilfe über das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. - auf der Website sind für jede Region die Telefonnummern der Frauenhäuser aufgeführt.

Betroffene Frauen in Berlin können sich über die BIG-Hotline einen Platz in einem Frauenhaus vermitteln lassen: 030 / 611 03 00 - unter dieser Nummer bekommen auch Personen aus dem Umfeld der Frauen Hilfe und Beratung. Auch die Frauenberatungsstellen in Berlin können helfen.

Außerdem gibt es ein bundesweites "Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen". Die Nummer 08000 116 016 ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar.

Bei akuten Fällen von Gewalt rufen Sie bitte immer die Polizei unter der 110 an.

Auch auf rbb24inforadio.de

Symbolfoto: Ein Frau hält abwehrend eine Hand der Kamera entgegen.
Westend61

Vis à vis - Christina Clemm: Vertritt Betroffene sexualisierter Gewalt

Der gefährlichste Ort für eine Frau ist ihr eigenes Zuhause, sagt Christina Clemm. Die Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht vertritt Frauen, die Opfer von Gewalt in der Beziehung wurden - bis hin zu Mord und Femizid. Nach jahrzehntelanger Erfahrung im Kriminalgericht Moabit zieht Christina Clemm ein bittere Bilanz. Von Ulf Morling

Stefanie Knaab im Porträt
Lisa Schulz / @itsleecee

Vis à vis - Stefanie Knaab: Mit einer App gegen häusliche Gewalt

Was genau häusliche Gewalt ist, ist nicht immer offensichtlich: Nicht nur physische Gewalt gehört dazu, sondern auch psychische, wirtschaftliche, soziale und sexualisierte Gewalt. Stefanie Knaab hat eine App entwickelt, um Frauen und anderen Betroffenen zu helfen. Von Jörg Poppendieck