Interview - Mit Humor und Grundresilienz: Traumabewältigung in der Ukraine
Am Donnerstag begeht die Ukraine ihren Nationalfeiertag - überschattet vom russischen Angriffskrieg. Die Bevölkerung sei sehr einfallsreich bei der Krisenbewältigung, sagt die Historikerin und Traumatherapeutin Imke Hansen. Doch Traumata seien auch eine Gefahr für die Gesellschaft.
Die Osteuropahistorikerin Imke Hansen arbeitet für den Verein "Libereco - Partnership for Human Rights". Im Auftrag der Nichtregierungsorganisation reist sie regelmäßig in die Ukraine. Libereco bietet psychosoziale Hilfe für Menschen an, die ihrerseits anderen Menschen in der Ukraine helfen. "Sie haben in den letzten anderthalb Jahren wirklich Unglaubliches geleistet, um das Überleben von Menschen zu retten und das Wohlbefinden von Menschen wiederherzustellen", sagt Hansen.
Insgesamt sei die Situation in der Zivilgesellschaft stabil. "Es gibt zahlreiche Organisationen, die sich darum bemühen, dass es Menschen besser geht […], die humanitäre Hilfe leisten, sich mit Binnenflüchtlingen beschäftigen und Kindern", erklärt die Historikerin. Diese Organisationen würden im Grunde das leisten, was der Staat momentan nicht leisten könne.
Hansen: "Die Menschen sind müde"
Sie beobachte, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer inzwischen vom Krieg ermüdet seien. "Diese Hoffnung auf einen Sieg und auf Frieden nach einem Sieg ist zwar immer noch da", sagt Hansen. "Aber man kann eben schon sehen, dass die letzten anderthalb Jahre unwahrscheinlich viele Ressourcen verbraucht haben - nicht nur im militärischen Bereich, sondern in der gesamten Gesellschaft."
Gleichzeitig gehe die Bevölkerung sehr einfallsreich und kreativ mit der Krisensituation um und lasse sich viel einfallen, um etwa die Energieknappheit zu bewältigen, so die Traumatherapeutin. "Eine Klientin von uns hat sich immer zwei To-Do-Listen gemacht: eine für 'Strom' und eine für 'gerade kein Strom'." Die gegenseitige Hilfsbereitschaft sei insgesamt sehr groß.
Ukraine hat viel Krisenerfahrung
Auch Humor helfe den Menschen, sie würden etwa Memes weiterschicken oder Comedy über den Krieg anhören. "Sie versuchen, durch Humor mehr Leichtigkeit reinzubringen und das klappt auch", sagt Hansen. Außerdem habe die Bevölkerung viel Erfahrung mit Krisen und dadurch eine gewisse Grundresilienz: "In der Ukraine ist in den letzten hundert Jahren quasi eine Krise auf die andere gefolgt - es gab keine Dekade ohne Krise."
Dennoch dürfe man die Folgen von Traumatisierung durch Krieg nicht unterschätzen, erklärt sie. "Diese Traumata wirken sich extrem auf die Gesellschaft aus", so die Therapeutin. "Wenn wir Trauma nicht integrieren, dann bekommen wir sehr viele Probleme mit Aggressivität, mit häuslicher Gewalt, mit Unfällen. Das wirkt sich nicht nur auf die Gesundheit von Menschen aus, sondern auch auf das Zusammenleben." Libereco versuche, mit seiner Arbeit dabei zu helfen, dies zu verhindern.