Plakat des Kindernotdienst an einem Gebäude
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Interview - Berliner Kindernotdienst warnt vor "unhaltbaren Zuständen"

Der Kindernotdienst in Berlin hat einen Notruf abgesendet - an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und an Familiensenatorin Katharina Günther-Wünsch (beide CDU). Die Rede ist von "unhaltbaren Zuständen", das Wohl einiger Minderjähriger sei akut gefährdet. Im Kern geht es um überlastetes Personal. Von Kirsten Buchmann

Der Kindernotdienst in Berlin schlägt erneut Alarm. In einem Brandbrief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Familiensenatorin Katharina Günther-Wünsch (beide CDU) warnen Mitarbeitende vor unhaltbaren Zuständen, durch die das Wohl der Minderjährigen teils akut gefährdet sei.

Wegen Überlastung des Personals sei die Betreuung der in Obhut genommenen Kinder kaum noch möglich, es komme regelmäßig zu Selbstverletzungen, körperlichen und mehrfach auch sexualisierten Übergriffen, heißt es in dem Schreiben, das dem rbb vorliegt. "Einige der Kinder bewaffnen sich mit spitzen Gegenständen oder Messern, um sich vor Übergriffen zu schützen oder selbst welche zu begehen." Zudem müssten die Kinder zum Teil monatelang in der Kindernothilfe bleiben, statt wie vorgesehen nur wenige Tage.

Kindernotdienst: "Katastrophe mit Ansage"

 

Unter Verweis auf die Tötung einer 12-Jährigen im nordrhein-westfälischen Freudenberg im März durch zwei gleichaltrige Mädchen warnen die Mitarbeitenden, dass ähnliches auch im Berliner Kindernotdienst drohe. "Wir sagen an dieser Stelle in aller Deutlichkeit, dass dazu nicht mehr viel fehlt. Sei es durch Fehleinschätzungen aufgrund unzureichenden Personals, sei es durch Selbstverletzung oder körperliche Übergriffe." Die Lage sei schon lange bekannt, und was im Kindernotdienst geschehe, heißt es im Brief, sei "eine Katastrophe mit Ansage".

Die Mitarbeitenden fordern vom Senat vor allem eine sofortige Verbesserung der Personalsituation, zum Beispiel durch Leiharbeitskräfte. Allein die neun Mitarbeitenden im Betreuungsbereich hätten Stand Anfang Mai mehr als 1000 Überstunden angesammelt, heißt es in dem Schreiben. Immer wieder würden Mitarbeitende ausfallen, weil sie krank werden, oder sich resigniert zurückziehen.

Vierter Standort "seit mindestens einem Jahr im Gespräch"

 

Zudem müsse es in den Bezirken mehr adäquate Angebote geben, besonders für psychiatrisch auffällige Kinder. Auch die Unterbringungskapazitäten müssten vergrößert werden. Der vierte Standort des Notdienstes sei "seit mindestens einem Jahr im Gespräch". Die dort geplanten vier bis sechs Plätze seien aber schon jetzt zu wenig.

Dem Vorgängersenat von SPD, Grünen und Linken werfen die Mitarbeitenden vor, die Lage nicht ernst genug genommen zu haben. Die ehemalige Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse hatte im März erklärt, der Krankenstand beim Kindernotdienst sei nicht außergewöhnlich hoch, zudem würden immer wieder Mitarbeitende anderer Verwaltungen aushelfen. Die Bildungsverwaltung räumte aber auch ein, dass es aufgrund des Fachkräftemangels schwer sei, neues Personal zu finden.