Bundesanwalt Herbert Diemer (l-r), Oberstaatsanwältin Anette Greger und Bundesanwalt Jochen Weingarten sitzen am 19.07.2017 vor Sitzungsbeginn im Gerichtssaalt im Oberlandesgericht in München (Bayern).
Bild: dpa Pool, Andreas Gebert

- Chronologie des NSU-Prozesses

Oft war es eine zähe Suche nach der Wahrheit im Münchner NSU-Prozess. Einige Verhandlungstage bleiben in Erinnerung. Eine Chronologie:

Chronologie: Zentrale Verhandlungstage des NSU-Prozesses

Ein Justizvollzugsbeamter sortiert am 30.09.2013 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München (Bayern) Aktenordner in ein Regal ein
dpa/Marc Müller

6. Mai 2013: Nach heftigem Streit um die Vergabe der Presseplätze beginnt der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte: Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E. Am 14. Mai wird die Anklage verlesen.

4. Juni 2013: Carsten S. beginnt seine Aussage. Er räumt ein, eine Waffe für den "Nationalsozialistischen Untergrund" besorgt zu haben.

6. Juni 2013: Holger G. räumt ein, dem NSU geholfen zu haben.

1. Oktober 2013: Der Vater des Mordopfers Ismail Yozgat tritt als Zeuge auf: Er wirft sich auf den Boden, um die Position seines sterbenden Sohns zu beschreiben. Am Tag darauf appelliert dessen Mutter eindringlich an Zschäpe, zur Aufklärung beizutragen.

16. Januar 2014: Der Polizist Martin A., der beinahe das elfte Todesopfer des NSU geworden wäre, sagt im Prozess als Zeuge aus.

16. Juli 2014: Beate Zschäpe gibt an, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre drei Pflichtverteidiger. Wenige Tage später schmettert das Gericht ihren Antrag auf neue Anwälte ab.

6. Juli 2015: Dauer-Hickhack um Zschäpes Verteidigung: Das Gericht ordnet ihr Mathias Grasel als vierten Pflichtverteidiger bei. Zschäpes Alt-Verteidiger scheitern wiederholt mit Versuchen, von den Mandaten entbunden zu werden. Einmal zeigt Zschäpe die drei an - erfolglos.

9. Dezember 2015: Zschäpe äußert sich erstmals vor Gericht: Am 249. Verhandlungstag verliest ihr neuer Anwalt Grasel eine Aussage. Darin räumt sie ein, von den Banküberfällen ihrer Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewusst zu haben. Sie gesteht, die letzte Fluchtwohnung des Trios in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Aber von den Morden und Anschlägen will sie immer erst im Nachhinein erfahren haben.

16. Dezember 2015: Auch Wohlleben bricht sein Schweigen. Er bestreitet, eine der Mordwaffen beschafft zu haben.

29. September 2016: Nach dreieinhalb Jahren ergreift Zschäpe zum ersten Mal persönlich das Wort - für eine kurze Erklärung. Sie bedauere ihr «Fehlverhalten», sagt sie, und sie verurteile, was ihre Freunde Mundlos und Böhnhardt ihren Opfern «angetan haben».

17. Januar 2017: Der psychiatrische Sachverständige Henning Saß ist am Zug. Er bescheinigt Zschäpe am Ende volle Schuldfähigkeit - und macht deutlich, sie sei möglicherweise noch immer gefährlich.

3. Mai 2017: Der von Zschäpes Vertrauens-Anwälten benannte Gutachter Joachim Bauer attestiert Zschäpe verminderte Schuldfähigkeit. Doch das Gericht lehnt Bauer später wegen befürchteter Parteilichkeit ab.

18. Juli 2017: Der Vorsitzende Richter schließt die Beweisaufnahme.
(Quelle:dpa)

Hintergrund

  • Im zweiten Anlauf könnten am Dienstag die Plädoyers im Münchner NSU-Prozess beginnen. Im Blickpunkt steht vor allem die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. Mit ihr auf der Anklagebank sitzen aber noch vier mutmaßliche Helfer des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), deren mögliche Tatbeteiligung die Bundesanwaltschaft genau beleuchten wird. Ein Überblick.
    (Quelle: dpa)

  • Der Ex-NPD-Funktionär sitzt seit dem 29. November 2011 in Untersuchungshaft - fast genauso lange wie Zschäpe. Mehrere Anträge seiner Verteidiger auf Haftentlassung scheiterten. Die mit mehr als fünfeinhalb Jahren ungewöhnlich lange Untersuchungshaft ist ein klarer Hinweis darauf, dass das Gericht den am 27. Februar 1975 geborenen Wohlleben für schuldig halten dürfte.

    Wohlleben ist wegen Beihilfe zum Mord an den neun Kleinunternehmern mit Migrationshintergrund angeklagt, die die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen haben sollen. Der ehemalige stellvertretende NPD-Chef in Thüringen soll Ende 1999 oder Anfang 2000 dem NSU mit Hilfe des mitangeklagten Carsten S. eine Pistole vom Typ Ceska 83 und Munition verschafft haben - die Tatwaffe bei neun von zehn Morden. In seiner nach langem Zögern erfolgten Aussage bestritt Wohlleben, die Tatwaffe beschafft zu haben.

  • Der am 9. Februar 1980 geborene 37-Jährige war der erste Angeklagte, der in dem Mammutverfahren aussagte. Er ist wie Wohlleben aufgrund des Beschaffens der Tatwaffe wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt. Weil er auch schon vor dem Prozess umfassend ausgesagt hatte, war er nur vier Monate in Untersuchungshaft. S. kann darauf hoffen, nach dem milderen Jugendstrafrecht verurteilt werden, weil er zur Tatzeit erst 19 Jahre alt war.

  • Der am 14. Mai 1974 in Jena geborene G. war der erste mutmaßliche NSU-Helfer, den die Polizei festnahm. G. soll seit dem Ende der 90er Jahre Kontakt mit dem aus Thüringen stammenden Trio gehabt haben. Den dreien soll er seinen Führerschein, eine Krankenversichertenkarte und noch im Jahr 2011 einen Reisepass überlassen haben. So soll er ihnen ermöglicht haben, weiterhin verborgen zu agieren und rechtsextreme Gewalttaten zu verüben.

    G. soll dem Trio auch eine Waffe besorgt haben, die aber nicht zum Einsatz kam. Er wurde im Mai 2012 aus der Untersuchungshaft entlassen und legte im Prozess ein weitgehendes Geständnis ab. G. droht wegen Unterstützung des NSU in drei Fällen eine Haftstrafe.

  • Dem aus Sachsen stammenden, 1980 geborenen E. wirft die Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Sprengstoffanschlag des NSU in Köln-Mülheim und in diesem Zusammenhang Beihilfe zum versuchten Mord sowie Beihilfe zum Raub und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor. E. ist der einzige Angeklagte, der über die gesamte Prozessdauer schwieg. Er saß insgesamt knapp sieben Monate bis Mitte Juni 2012 in Untersuchungshaft.

    Er soll die engste Bindung aller Verdächtigen zu dem Trio unterhalten haben - E. war es, den Zschäpe anrief, nachdem sie nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos ihre Wohnung angezündet haben soll. E. soll Zschäpe auch für ihre mehrtägige Flucht zum Bahnhof gefahren haben.

    E. gab laut den Ermittlungen Zschäpe im Jahr 2006 als seine Ehefrau aus. Er soll auch den Wohnort des Trios verschleiert haben und ihnen seit dem Jahr 2009 Bahncards beschafft haben. Auch während des NSU-Prozesses trat E. immer wieder öffentlich in der Neonaziszene auf.

Hintergrund

Der NSU-Prozess in Zahlen

Seit dem 6. Mai 2013 läuft der NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Einige Zahlen zu dem Mammutverfahren:
(Quelle: dpa)

5 Angeklagte

müssen sich verantworten, darunter Beate Zschäpe und der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben.

5 Anwälte

hat die Hauptangeklagte Zschäpe. Von den Pflichtverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm distanzierte sich Zschäpe im Laufe des Verfahrens. Mathias Grasel kam als vierter Pflichtverteidiger, Hermann Borchert als Wahlverteidiger dazu.

5 Richter

hat der Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts unter Vorsitz von Manfred Götzl. Zudem waren 3 Ergänzungsrichter benannt. Zwei Richter der Startbesetzung schieden inzwischen aus. Ein Ersatzrichter steht derzeit noch zur Verfügung.

10 Menschen

soll die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" ermordet haben. Neun von ihnen waren Geschäftsleute türkischer und griechischer Abstammung in den Jahren 2000 bis 2006.
Außerdem die am 25. April 2007 in Heilbronn getötete Polizistin Michele Kiesewetter.

14 Jahre

lang soll Zschäpe mit den Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt haben.

Mindestens 33

Befangenheitsanträge zählte die Geschäftsstelle des Gerichts.

42 Sachverständige

lieferten Einschätzungen zu Waffen, Munition, psychischer Verfassung der Angeklagten und Todesursachen der Mordopfer.

49 Anwälte

vertreten die Nebenkläger.

71 Nebenkläger

sind zugelassen, darunter Angehörige der Mordopfer.

123 Medien

 hatten sich für das Verfahren akkreditiert. 50 von ihnen haben einen fest reservierten Platz.

Rund 230 Plätze

hat der extra für den Prozess umgebaute Gerichtssaal A 101, etwa 100 mehr als vorher.

373 Verhandlungstage

dauerte es bis zum Ende der Beweisaufnahme.

488 Seiten

umfasst die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Darin wird Zschäpe Mittäterschaft bei den zehn NSU-Morden vorgeworfen.

815 Zeugenaussagen

hörte das Gericht.

Rund 150.000 Euro

kostet ein Prozesstag. Die Gesamtkosten liegen damit bislang bei knapp 56 Millionen Euro.

Mehr als 600 Ordner

füllen die mehr als 280.000 Seiten Ermittlungsakten.