Immer mehr deutet darauf hin, dass Korruption bei der Vergabe von FIFA-Weltmeisterschaften Gang und Gäbe war. Ex-FIFA-Funktionär Chuck Blazer hat Bestechungsgelder für seine Stimme bei der Vergabe der WM 2010 nach Südafrika eingeräumt, ebenso für die WM 1998 in Frankreich. Und auch bei der WM 2006 in Deutschland soll längst nicht alles rechtens gelaufen sein, wie uns Journalist und Korruptionsexperte Jens Weinreich berichtet.
Blazer räumte vor einem US-Gericht ein, Bestechungsgelder für seine Stimme bei der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 nach Südafrika angenommen zu haben. Er sei jedoch nicht der einzige aus dem entscheidenden Gremium gewesen, der im Gegenzug für die Zahlung für Südafrika votiert habe, sagte der frühere Fußballfunktionär aus den USA laut einer am Mittwoch veröffentlichten Mitschrift einer Anhörung in New York im November 2013. Eine ähnliche Praxis habe es vor der WM 1998 in Frankreich gegeben.
Der Gesprächspartner
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Jens Weinreich
Journalist, Blogger und Buchautor ("Macht, Moneten, Marionetten", erschienen 2014)
Vor dem US-Bezirksgericht in Brooklyn gestand Blazer seine Schuld wegen illegaler Geschäfte und anderer Anschuldigungen ein. Blazer war von 1990 bis 2011 die Nummer zwei des Nord- und Mittelamerikaverbandes Concacaf und von 1997 bis 2013 Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees. Er gibt laut der Mitschrift in zehn Anklagepunkten Verfehlungen zu. Südafrika gewann das Votum gegen Marokko mit 14 zu zehn Stimmen. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 war die erste, die jemals auf dem afrikanischen Kontinent ausgetragen wurde.
Blazer sagte, er habe auch Bestechungszahlungen um das Jahr 1992 herum bei der Abstimmung über das WM-Gastgeberland 1998 arrangiert. Die WM ging nach Frankreich, auch damals war der Gegenkandidat Marokko.
Chuck Blazer mit FIFA-Boss Sepp Blatter | Bild: dpa
Warner: "Blatter wusste von Geldströmen"
Auch der ehemalige FIFA-Funktionär Jack Warner packt aus: Er behauptet, der Fußball- Weltverband habe seine Independent Liberal Party auf Trinidad und Tobago im Wahlkampf 2010 finanziell unterstützt. Er habe entsprechende Schecks und anderes Beweismaterial an seine Anwälte übergeben, sagte der 72 Jahre alte frühere FIFA-Vizepräsident am Mittwochabend in einer Fernsehansprache in seinem Heimatland. FIFA-Chef Joseph Blatter und andere Funktionäre hätten davon Kenntnis gehabt.
War auch die WM 2006 "geschmiert"?
Der Sportjournalist Jens Weinreich beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Korruption in der FIFA. Für ihn kommen die neuen Entwicklungen nicht wirklich überraschend. "Blazers Angaben sind ein reines Geständnis. Er hat mehr als zwei dutzend Millionen Dollar abgesahnt, und das über zwei Jahrzehnte."
Auch bei der Vergabe WM 2006 in Deutschland sei längst nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, so Weinreich: "Natürlich war da Korruption mit im Spiel. Ob das strafrechtlich zu würdigen ist, ist eine andere Frage. Die deutsche Justiz und Politik hat das zumindest nie interessiert." Seit zehn Jahren lägen Dokumente aus dem Kirch-Medienkonzern vor, die belegten, dass auch im Vorfeld des "Sommermärchens" jede Menge Geld in dunkle Kanäle geflossen sei. "Involviert war damals auch Günter Netzer, der als Manager für Kirch tätig war. Damals wurden TV-Rechte vergeben an ein thailändisches Mitglied des FIFA-Exekutiv-Komitees. Dann spielte auch mal der FC Bayern in Thailand. Das kann man alles nachschauen und nachlesen", so Weinreich.
Fragen und Antworten zum FIFA-Skandal
Was ist passiert?
Joseph S. Blatter (79) geht. Und das bald. Noch bis zum außerordentlichen Wahl-Kongress (zwischen Dezember 2015 und März 2016) wiederum in Zürich sitzt der Schweizer zwar auf seinem Präsidenten-Stuhl, dort aber als klassische "Lame Duck".
Die offensichtlich überwältigende Mehrheit findet das gut. Vieles spricht tatsächlich für einen Wandel. Dafür stehen jetzt aber die bisherigen Kritiker schwer in der Verantwortung, allen voran die Vertreter der Europäischen Fußball-Union (UEFA) mit DFB-Boss Wolfgang Niersbach (64).
Wer kann Nachfolger werden?
Praktisch jeder, der ernsthaft im Weltfußball zu tun hat(te). Die FIFA-Statuten schreiben eine mehrjährige Tätigkeit als Funktionär (oder etwas in der Art) vor - dazu fünf Unterstützer, die schriftlich beim Weltverband die Eignung des Kandidaten bestätigten müssen.
Außerdem steht eine Ethikprüfung an. Bei der letzten Wahl, die Blatter am vergangenen Freitag sinnloserweise erst abgehalten und dann gewonnen hatte, scheiterte nur ein Kandidat (Jérôme Champagne) schon im Vorfeld an der Statuten-Hürde.
Wer sind mögliche Kandidaten?
Das Machtgerangel beginnt gerade erst. Bis zur Bewerbungsfrist (die noch nicht feststeht) dürften sich Dutzende Anwärter melden. Ihre Absichten bekundet haben schon Prinz Ali bin Al Hussein (39), am Freitag noch Verlierer gegen Blatter, ferner Brasiliens Idol Zico (62) und der südkoreanische Auto-Milliardär Chung Mong-Joon (63). Weitere Namen werden folgen.
Die erwarteten "Big Player" für die Wahl der 209 Verbände, UEFA-Präsident Michel Platini (59) und der kuwaitische Scheich Ahmad al Sabah (51), halten sich noch bedeckt. Gedankenspiele mit DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (64) gelten hingegen als abwegig. Ebenso kein Thema ist Fußball-"Kaiser" Franz Beckenbauer (69).
Was ist an den Gerüchten über angebliche FBI-Ermittlungen?
Die 'New York Times' wusste als erstes Medienhaus in der vergangenen Woche vorab von den Verhaftungen der sieben FIFA-Funktionäre in Zürich, ihre Reporter waren sogar rechtzeitig vor Ort - als einzige.
Die Zeitung recherchierte auch sauber die Verwicklung von FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke in die dubiose Zahlung von zehn Millionen Dollar aus Südafrika Richtung Karibik.
Am Mittwochmorgen schließlich berichtete die New York Times über die Ermittlungen des FBI und der US-Staatsanwaltschaft auch gegen Blatter. Dass die Zeitung ihr untadeliges Renomee mit haltlosen Spekulationen aufs Spiel setzt, halten Beobachter für eher unwahrscheinlich - zumal die bisherige Berichterstattung darauf schließen lässt, dass die "NYT" offenkundig über sehr verlässliche Quellen innerhalb des FBI verfügt.
Sind die Weltmeisterschaften in Russland und Katar gefährdet?
Bisher deutet nichts darauf hin. Die milliardenschweren Verträge der FIFA mit den WM-Gastgebern sind unabhängig von der Person des Präsidenten geschlossen. Denkbar sind zwar Szenarien, die eine neue Ausschreibung der Fußball-Turniere möglich machen könnten. Die Ermittlungen der Schweizer Justiz oder der noch unveröffentlichte Garcia-Report könnten entsprechende Unterlagen hervorbringen.
Im laufenden Ermittlungsverfahren können die Fahnder aufgrund der Gesetzeslage allerdings nur wegen "ungetreuer Geschäftsbesorgung" sowie Geldwäsche und nicht auch wegen Privatbestechung ermitteln.
Der Druck wurde offenbar zu groß: FIFA-Präsident Sepp Blatter hat seinen Rücktritt angekündigt. Damit, so sagt er, wolle er den Weg für eine tiefgreifende Umstrukturierung der Fifa frei machen. Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen in unserem Dossier - dort finden Sie Fakten, Zahlen, Hintergrundinformationen und Reaktionen seit Beginn des FIFA-Skandals und dem darauf folgenden FIFA-Kongress in Zürich. Zudem können Sie alle Inforadio-Interviews zum Thema noch einmal nachhören.