Interview mit Rainer Rother über "Technicolor" - "Es gibt nicht nur das Schrille"

Die Retrospektive der Berlinale feiert den 100. Geburtstag eines Farbfilm-Verfahrens, das weit über Hollywood hinaus zu einem Mythos wurde: Color by Technicolor. Reiner Veit sprach mit dem Leiter der Retrospektive, Rainer Rother, über die Besonderheiten des Verfahrens, Restaurationen und besondere Schätze, die 2015 gezeigt werden.

Die Retrospektive der Berlinale wird in diesem Jahr ein richtiges Farbspektakel. Doch die Farbe ist nicht zum ersten Mal Thema einer Berlinale.

Es gab schon einmal eine Retrospektive zum Farbfilm im Jahr 1988. Damals ging es um alle möglichen Farbverfahren, um heute vollkommen  vergessene Farbsysteme. In diesem Jahr konzentrieren wir uns auf Technicolor. Das so genannte Drei-Streifen-Technicolorverfahren war das erste, das tatsächlich den Farbfilm für das Publikum durchgesetzt hat. Die Firma wird in diesem Jahr hundert Jahre alt.

Drei Streifen, das heißt drei Farben?

Genau. Technicolor funktioniert über sogenannte Farbauszüge. Das heißt, Schwarz-Weiß-Film wird einmal durch einen Cyan-, einen Magenta- und einen Gelbfilter belichtet, so dass man drei verschiedene Schwarz-Weiß-Filme hat, denen alle bestimmte Farbanteile fehlen. Daraus wird dann in einem Druckverfahren – und das ist das Besondere an Technicolor – ein Farbfilm.

Wird in der Retrospektive auch die Entwicklung von Technicolor dokumentiert? Die hat sich ja über ziemlich lange Zeit hingezogen.

Ja, wir haben auch ein paar Beispiele zur Entwicklung. Die ersten Verfahren zum Beispiel konnten nur mit zwei Farben arbeiten. Wir zeigen einige der Filme, die so entstanden sind. Und es wird eine Präsentation von Kollegen aus dem George Eastman House in Rochester geben, die aus ihren Sammlungen die Entwicklung des Farbsystems Technicolor vorführen.

Was ist der Unterschied zwischen Color und Technicolor?

Die ersten Farbverfahren, die es gab – das fängt ja schon in den 20er und 30er Jahren an – waren nicht vollkommen, es gab Farbsäume. Es wurde kritisiert, dass diese Farbfilme nur spekulativ sind, dass sie nicht den ganzen Reichtum der Welt zeigen und eher auf Farbeffekte setzen. Das ändert sich mit Technicolor. Da es ein Druckverfahren ist, kann man es stark kontrollieren - ein bisschen mehr von dieser, ein bisschen mehr von jener Farbe dazugeben. Erstaunlicherweise wurde das nicht genutzt, um besonders starke Farbakzente zu setzen. Die ersten Technicolorfilme sind eher reduziert, versuchen das Publikum nicht zu überfordern.

Vor allem zwei Filme sorgten für den Durchbruch von Technicolor: auf der einen Seite Schneewittchen - Disney ist der große Pionier von Technicolor – und der große Erfolg "Vom Winde verweht". David O. Selznick setzte auf diesen Südstaatenroman und auf Technicolor - und produzierte den wahrscheinlich erfolgreichsten Film der Filmgeschichte.

Ist Technicolor nicht eigentlich so etwas wie "Farbe Plus", also immer so ein Tick mehr, als die Wirklichkeit wahrscheinlich an Rot, an Grün, an Blau hervorbringen würde?

Es gibt bestimmte Genres, in denen das geradezu unvermeidlich ist. Man muss nur an "Wizard of Oz" denken. Musicals sind einer der Bereiche, in denen mit Farbe auf eine ganz wunderbare Art und Weise überbordend gespielt wird. Da haben wir auch schöne Beispiele dabei: "Singin' in the Rain" oder "Yolanda and the Thief"…

Die Bonbon-Abteilung...

Nicht nur, aber auch Bonbon. Diese Filme machen sich über die eigenen Bonbonfarben auch durchaus lustig. Die große Tanzszene in "Yolanda and the Thief" spielt plötzlich auf einem Boden aus Schwarz-Weiß-Mustern. Das kommt auch vor. Aber es ist wahr: Technicolor konnte durch diese Kontrollierbarkeit der Farben tatsächlich zu Effekten greifen – wenn sie dramaturgisch oder durch das Genre vorgegeben war –, die unvergesslich bleiben, weil sie eben spektakulär sind.

Ein Melodram wird Technicolor wohl anders eingesetzt haben.

Ein sehr schönes Beispiel sind die Western. Die Western sind klassisch-realistisch angelegt. Es geht darum, dass die Landschaft als Landschaft präsent ist und dennoch gibt es Szenen, die aus diesem realistischen Farbspektrum herausfallen. Bei "Broken Arrow" zum Beispiel, wenn James Stewart am Anfang den Indianern begegnet, werden sie in ein rotes Licht getaucht. Und nicht nur die Story, auch die Hauptfigur arbeitet sich daran ab, die Indianer in einem anderen als diesem dämonischen rotgetränkten Licht zu sehen.

Ihre Retrospektive mit Technicolor erfüllt also nicht unbedingt die Erwartung, die man mit dem Begriff Technicolor verbindet, dieses "Schrille"?

Das Schrille haben wir auch, aber wir zeigen, dass es neben dem Schrillen auch anderes gab. Wer sich die Musicals anschaut, insbesondere den Anfang von "Show Boat", der wird eine Explosion von Farben erleben und das Schöne an dem Film ist, dass er in seiner Farbgebung  immer reduzierter und präziser wird und emotionaler in seiner Geschichte. Es gibt eine große Vielfalt von Verwendung des Farbverfahrens, die wir hier versuchen, zu dokumentieren.

Gibt es Untersuchungen über die Wirkung von Technicolor auf den Inhalt?

Es gibt zum Beispiel Untersuchungen darüber, wie im britischen Film anders mit Farbe umgegangen wird als im amerikanischen Film. Der britische Film ist tendenziell reduzierter, nüchterner. Das mag auch am dortigen Licht liegen, das anderes ist als in Kalifornien. Dennoch gibt es dann gerade im britischen Film mit Powel und Pressburger und dem Kameramann Jack Cardiff ein Team, das in der Farbentwicklung so weit geht, wie nur wenige Kollegen in den USA. "Black Narcissus" ist unser Beispiel, ein ganz wunderbarer Farbfilm.

Inwieweit sind die Begriffe – heute ja nicht mehr so häufig benutzt – "Traumfabrik Hollywood" und "Technicolor" miteinander verwoben?

Die Traumfabrik, das waren zwar auch die "White Screen"-Filme in Schwarz-Weiß, aber im Wesentlichen waren das die großen Farbspektakel, und die sind bis Mitte der 50er Jahre tatsächlich immer Technicolor gewesen. Selbst die späteren Filme, die zum Beispiel auf Kodak-Filmen gedreht wurden, werden lange Zeit noch in dem Technicolor Printverfahren als Massenkopie hergestellt. Das war nicht nur billiger, sondern man konnte mit der Farbe anders spielen. Technicolor ist für mich jedenfalls in gewisser Hinsicht ein Synonym für das, was das gloriose Hollywood kann.

Retrospektive Technicolor. Aus: Mighty Manhattan. New York's Wonder City, USA 1949, Regie: James H. Smith; Quelle: George Eastman House, Rochester, © 1949 Turner Entertainment Co.Auch erste Dokumentarfilme gab es in Farbe: "Mighty Manhattan" aus dem Jahr 1949.

Was ist von Technicolor geblieben?

Heute wünschte man sich, es gäbe noch so etwas wie ein Technicolor-Laboratorium, in dem man Filme drucken kann. Auch, weil die Schwarz-Weiß-Filme ewig haltbar sind - die haben keine Farbprobleme. Es ist nur schwierig, diese Farben in den anderen Verfahren, in Kodak oder Fuji, zu reproduzieren. Es bleibt eine Erinnerung an eine großartige Zeit und eine Herausforderung für die Restauratoren. Die Aufgabe ist, diesen Schatz des gloriosen Technicolor mit Farbverfahren zu reproduzieren, um den Eindruck, der damals herrschte, wiederherzustellen. Diese digitalen Restaurierungen zeigen wir auch, allerdings fast ausschließlich 35-Milimeter-Ausspielungen der digitalen Fassung.

Auf welche Filme sind Sie besonders stolz?

Besonders stolz sind wir auf einige Entdeckungen, "An American Romance" von King Vidor oder auch "This Happy Breed" von David Lean. Zwei Filme, die 1944 ins Kino kamen und eine generationenübergreifende Geschichte über den Aufstieg von Familien erzählen und damit auch die Kriegssituation reflektieren. Das sind Filme, die Technicolor sehr zurückhaltend, in manchen Szenen dann aber auch spektakulär einsetzen. Wir sind stolz auf die ganz frühen britischen Filme. "Blanche Fury" ist ein ganz wunderbarer Film, der eine Geschichte eines illegitimen Sohnes eines Gutbesitzers und seine Rache erzählt. Wir sind auch stolz, dass wir sechs sogenannte "Imbibition Prints" zeigen können, also sechs Prints, die in dem alten technischen Verfahren noch hergestellt wurden, und wir ermöglichen zum Beispiel im Fall von "African Queen" auch den Vergleich zwischen einem alten Imbibition Print und einer neuen Restaurierung.

Das Interview ist eine gekürzte Version des Vis-à-Vis von Reiner Veit

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