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Der italienisch-albanische Film "Vergine Giurata" zeigt den Weg einer Frau, die sich nicht den archaischen Geschlechterrollen ihrer Heimat unterwerfen wollte. Es ist die Begegnung mit einer sehr fremden Welt, in der zur Aussteuer einer Braut auch eine Gewehrkugel gehört, mit der sie ihr Mann bei Widerspruch töten darf.
Zwei Reisen, eine äußere aus den abgeschiedenen Bergen Albaniens ins hektische Norditalien. Und die innere aus der Verkapselung des eigenen Körpers zu dessen Sehnsüchten und Bedürfnissen. Aus Hana wurde einst Mark und wird ganz langsam wieder Hana.
Es ist der Weg einer Frau, die sich nicht den archaischen Geschlechterrollen ihrer Heimat unterwerfen wollte und die einen ebenso archaischen Ausweg fand. Als Waise von Verwandten aufgenommen, kann sie sich nicht damit abfinden, dass Frauen erst nach Männern reden sollen, dass sie nicht alleine in den Wald gehen oder gar schießen dürfen. Während ihre Ziehschwester der Verheiratung durch Flucht nach Italien entgeht, wählt Hana einen anderen, einen traditionellen Weg: mit einem Schwur, sich nie berühren zu lassen, können Frauen in der albanischen Bergtradition Männerrollen übernehmen. Genau das tut Hana, sie wird zur vergine giurata, zur geschworenen Jungfrau. Mit abgeschnittenen Haaren und Männerklamotten, als Hirtin. Doch als die Zieheltern beide tot sind, bricht sie auf.
Es ist die Begegnung mit einer sehr fremden Welt, in der zur Aussteuer einer Braut auch eine Gewehrkugel gehört, mit der sie ihr Mann bei Widerspruch töten darf.
Regisseurin Laura Bispuri nähert sich sehr vorsichtig den Figuren, zeigt zum Beispiel, welchen gar nicht so leichten Weg der Ziehvater zurücklegen muss, bis er Hana den Vorschlag zum Geschlechterrollentausch macht. Die verschneiten hohen Berge tun ein Übriges, Bedrohung und Schutz der zementierten Rituale sichtbar zu machen.
In Italien gelingt der Kamera Hanas/Marks Fremdheit mit unserer vertrauten Welt abzubilden. Ihr Blick wandert im Schwimmbad an den unterschiedlichen Körpern entlang, alte, junge, behaarte, mit Tattoos übersähte. Und mit dem Bademeister, Lars Eidinger, erfährt sie dann endlich handgreiflichen Körperkontakt.
Wie sie allmählich ihre abgebundenen Brüste wiederentdeckt, wie sie am Ende nur mit zwei kleinen Ohrringen ein neues Gesicht bekommt, das erzählt dieser Film auf eine so berührende Weise, dass man neugierig darauf ist, wie ihr Leben weitergeht. Ihre spezielle Gendercrossing-Erfahrung auf westliche Geschlechterdiskurse stoßen zu lassen, wäre schon interessant. Und auch, ob der Bademeister Hana oder Mark attraktiv fand.
Aber da ist dann der Film leider schon zu Ende. Und wieder einmal erlebten wir auf der Berlinale eine hochspannende ethnographische Untersuchung, der das Quentchen erzählte Geschichte fehlte. Dennoch: von diesem Film wird man noch hören, auch bei der Bärenvergabe.