
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Für Elvira Ullmann aus Kasachstan ist die Anton-Saefkow-Bibliothek in Berlin-Lichtenberg ein kleiner Heimat-Ersatz. Inforadio-Reporter Thomas Rautenberg hat sie dort besucht.
Smalltalk in der Muttersprache - das sind die Momente, auf die sich Elvira Ullmann eine ganze Woche lang freut. Immer mittwochs hilft die russisch-sprachige Bibliothekarin in der Lichtenberger Anton-Saefkow-Bibliothek aus. Gesucht wird die Ausgabe eines Frauenkrimis von Alexandra Marinina im russischen Original. Elvira Ullmann weiß weiter.
Die Bibliothek mit ihrer großen russisch-sprachigen Abteilung ist für die 53-Jährige so etwas wie die zweite Heimat geworden: "Die Bibliothek ist für mich alles. Ohne sie kann ich überhaupt nicht atmen, leben. Ich komme gerne hier her. Der Mittwoch ist für mich der beste Tag, wie so ein Feiertag. Ich bereite mich darauf vor, ich mag das. Die Bücher, der Geruch, das ist für mich alles, alles."
"Heimat ist, wo die Familie ist"
Vor 2 Jahrzehnten sind die Ullmanns als Russlanddeutsche aus Kasachstan nach Berlin gekommen. Anfang 30 war Elvira damals. Mit Kasachstan habe sie ein Land verlassen, sagt sie, nicht aber ihre Heimat: "Heimat ist dort, wo die ganze Familie ist. Also ist zurzeit istBerlin meine Heimat, wo mein Vater ist – meine Mutter ist ja leider verstorben vor drei Jahren -, meine Geschwister, meine Kinder, meine Enkelin. Das ist meine Heimat."
Und doch: Elvira spricht von russischem Blut, das in den Adern fließt, andere würden es wohl schlichtweg Heimweh oder "ein schweres Herz haben" nennen. Für sie ist es ein unbeschreibliches Gefühl in der Brust: "Das kommt von dort und bleibt dann."
In solchen Momenten fehlt ihr beispielsweise das russische Theater oder die heimische, sprich russische Musik. Die Familie allein kann das nicht ersetzen: "Ich denke, wir sind ja so aufgewachsen, mit dieser Musik. Und sie liegt auch irgendwie da drin. Diese Sänger, die ich noch kenne, die sind jetzt alle schon alt – und das fehlt. In der ersten Zeit sind wir ganz oft zu Konzerten gegangen, mit der Zeit hat das ein bisschen nachgelassen. Jetzt machen wir mehr so was wie Weihnachts-Revue, zum Beispiel im Friedrichstadt-Palast, jedes Jahr zu Weihnachten."
Deutsche Bücher sind Arbeit, russische ein Genuss
Was die Muttersprache angeht, hat Elvira Ullmann ihren Platz in der Anton-Saefkow-Bibliothek gefunden. Inmitten von deutscher und russischer Literatur, mit Landsleuten, die hier meistenteils russisch sprechen: "Die Russen lesen sowieso viel und hier fehlt das dann richtig. Das ist dann Mundpropaganda: Jemand sagt, da gibt es eine Bibliothek, wo auch russische Bücher sind. Dann sagen sie: Was, hier in Deutschland? Gibt es so was? Und dann kommen sie her und machen solche Augen und sagen: Was, auch ganz neue Sachen gibt es hier?"
Die gibt es und Elvira Ullmann ist als Bibliothekarin mittendrin. Sie selbst liest alles, was sie in die Hand bekommt, doch einen Unterschied in der Sprache spürt sie - auch nach 20 Jahren in Berlin - immer noch: "Wenn ich deutsche Bücher lese, ist es Arbeit für mich. Und russische Bücher, da genieße ich es richtig. Da lese ich, ohne nachzudenken. Es geht ja auch schneller – und das genießt man dann."