Buchstaben bilden die Schriftzüge Einheit, West und Ost auf einer Deutschlandfahne
IMAGO / Christian Ohde
Bild: IMAGO / Christian Ohde Download (mp3, 16 MB)

Tag der Deutschen Einheit - Juliane Stückrad: Ethnologinnen-Blick auf Ostdeutschland

Ethnologinnen und Völkerkundler erwartet man im Dschungel des Amazonas, auf indonesischen Inseln oder in der sibirischen Steppe, aber nicht um die Ecke in der Lausitz. Christian Wildt spricht mit der Ethnologin Juliane Stückrad über ihr neues Verständnis für den Unmut mancher Menschen in der Region.

Eine Ethnologin in der Lausitz - das ist eher ungewöhnlich. Und trotzdem hat Dr. Juliane Stückrad dieses Forschungsfeld für sich gefunden. Begegnet ist ihr dabei nicht nur lebendige Alltagskultur, sondern Verständnis für ein besonderes Kennzeichen der Menschen in der Region: Den Unmut. Das Meckern und Schimpfen, das oft sinnbildlich für die Menschen in Ostdeutschland herhalten muss.

Die Lust am Schimpfen

Als gebürtige Thüringerin ist Juliane Stückrad der Osten Deutschlands nicht fremd. Doch für sie, aus dem bürgerlichen Milieu in Eisenach, war der ländlich, periphere Raum im Süden Brandenburgs erstmal neu. Die erste Erkenntnis: Der Umgang mit der DDR, der Vergangenheit, war ein anderer. Ihre Erkenntnisse hat sie im Buch "Die Unmutigen, die Mutigen" zusammengefasst. Sie erklärt dabei, woher die Lust der Ostdeutschen am Schimpfen kommt.

Unmut in der DDR setzt sich fort

Stückrad spricht von einer eigenen "Unmutskultur". Ihre These lautet, dass sich in der DDR eine andere Unmutskultur entwickelt hat als in Westdeutschland, weil man in einer Diktatur anders miteinander kommunizieren müsse. Ein falsches Wort könne für massive Probleme sorgen - eine Erfahrung, die Ostdeutsche schon in ihrer Kindheit gemacht hätten. Im Gegenzug dazu biete eine Demokratie viel mehr Möglichkeiten, seine Meinung zu äußern. Die Wirkung ist allerdings eine andere. Gerade Menschen aus dem Osten Deutschlands erleben sie als beliebig, wirkungslos.

Die Figur des "kleinen Mannes"

Diese unterschiedliche Kommunikationserfahrung hat laut Stückrad dafür gesorgt, dass Ostdeutsche die Freiheit, ihren Unmut öffentlich zu äußern, häufiger nutzen. Bei ihrer Forschung ist der Ethnologin auch der sogenannte "kleine Mann" begegnet. Diese Figur sei immer wieder aufgetaucht, "um sich in dem Ausgeliefertsein darzustellen. Aber der kleine Mann hilft natürlich auch, sich von denen da oben zu distanzieren." - Etwas, das in der ehemaligen DDR oft notwendig war.