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Nach dem Rückzug der USA und ihrer Verbündeten sind die Taliban auf dem Vormarsch – die afghanische Regierung und Sicherheitskräfte scheinen dem nur wenig entgegensetzen zu können. Auch die Nachbarstaaten Iran und China greifen nicht ein – vor allem aus Eigennutz, sagt Thomas Ruttig, Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network.
Afghanistans Nachbarn, vor allem China, der Iran und Russland, hätten ihre Beziehungen zu den Taliban normalisiert, so Ruttig. Dahinter stecke vor allem Eigennutz, denn eine der zentralen Gefahren gehe vom sogenannten "Islamischen Staat" aus, den man gemeinsam bekämpfen will. Pakistan nehme eine Sonderrolle ein – das Land gelte als "Schirmherr" der Taliban, auch wenn die Führung dies abstreitet.
Ruttig: Westen hat Einfluss in Afghanistan praktisch verloren
Die Taliban können sich derzeit quasi aussuchen, wessen Gesprächsangebot sie annehmen, so der Afghanistan-Experte. Die Chancen der westlichen Verbündeten seien nicht allzu groß: "[Der Westen] hat nicht mehr sehr viel Einfluss", so Ruttig. "Denn er hat 20 Jahre lang versucht, die Taliban militärisch zu besiegen. Er hat das nicht geschafft und ist dann um 180 Grad umgeschwenkt und hat auf Verhandlungen gesetzt." Es verblieben nur noch wenige Hebel – beispielsweise Entwicklungshilfe. Hier ist der Westen stark, Afghanistans Nachbarn jedoch eher schwach aufgestellt.
"Gewisse Mäßigung" ist von den Taliban zu erwarten
Die Taliban sind weiterhin konservativ und islamistisch aufgestellt und setzen sich aus vielen lokalen Netzwerken zusammen, so der Co-Direktor. Rekrutiert werde in der Verwandtschaft oder im Stamm. In Afghanistan herrsche derzeit Angst, wie das Land aussehen wird, sollten die Taliban an die Macht gelangen. Aber, so Ruttig: Die Milizen haben in den vergangenen 20 Jahren verstanden, dass sie ihre Macht nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung und internationale Gemeinschaft durchsetzen können. Man könne von ihnen eine "gewisse Mäßigung" erwarten.