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Abstand, Distanz und Kontaktbeschränkungen. Wie wirken sich diese zentralen Schutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie auf unser Liebes- und Sexleben aus? Darüber spricht Anke Burmeister mit der Soziologin und Sexual-Pädagogin Barbara Rothmüller.
Durch Corona-Schutzmaßnahmen wie Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln haben mittlerweile viele Menschen verinnerlicht, dass Nähe etwas Bedrohliches sein kann, erklärt Barbara Rothmüller, Sexualpädagogin und Soziologin an der Siegmund-Freud-Universität in Wien.
Obwohl die physische Distanzierung nicht gleichbedeutend mit einer sozialen Distanzierung sei, haben sich die Kontakte durch die Corona-Pandemie reduziert.
Unterschiedliche Erfahrungen
Die Sexualpädagogin leitet aktuell die Studie "Liebe, Intimität und Sex in Zeiten von Corona“. Ein Zwischenergebnis: viele Menschen haben die Zeit der Kontaktbeschränkung mit ihren intimen Partner*innen genossen, oder auch den Kontakt zur eigenen Kernfamilie gestärkt.
"Auf der anderen Seite stehen aber auch viele Personen, für die es eine sehr sorgenvolle Zeit war“, sagt Rothmüller. Aus der internationalen Sexualforschung sei bekannt, dass stressvolle Zeiten - wie eben in einer Pandemie - sehr unterschiedliche Auswirkungen auf das sexuelle Begehren der Menschen haben können, erklärt die Sexualpädagogin.
Unterschiedliche Reaktionen
Es gebe sowohl Menschen, die auf stressige Zeiten mit einem gesteigerten Begehren reagieren, auch um sich mit Sex etwas abzulenken. Es gebe aber auch viele Personen, die auf Ausnahmesituationen eher mit einer reduzierten Lust auf Sex reagieren würden, so Rothmüller.
Der Prognose um einen Babyboom durch die Corona-Pandemie steht die Sexualpädagogin skeptisch gegenüber. Da die aktuelle Lage vor allem auch Verunsicherung auslöst, könnte sich das eher negativ auf den Kinderwunsch vieler auswirken.
Klassisches Modell und gelebte Vielfalt
Generell sei es in Krisenzeiten aber so, dass sich vieles wieder auf das klassische Familienmodell von Vater, Mutter und Kindern konzentriere. "Es ist bekannt, dass Frauen in diesen Zeiten sehr viel Care-Arbeit und psychosoziale Unterstützungsleistungen übernehmen“, so Rothmüller. Die Frauen würden so zum Stoßdämpfer in Krisenzeiten.
Erstaunt war die Sexualpädagogin über die Vielfältigkeit der Beziehungsformen, welche die Menschen in ihrer Studie angaben. Die bloße Unterscheidung zwischen vergeben oder single werde der Pluralität der geführten Beziehungen auch in der Corona-Pandemie nicht gerecht, sagt Rothmüller.
Als Beispiele nennt die Sexualpädagogin Menschen, die relativ regelmäßig sexuelle Beziehungen mit neuen Menschen eingehen ohne dabei auf der Suche nach einer langen Partner*innenschaft zu sein, oder auch Menschen die romantische Beziehungen konsensual mit mehreren Personen führen.
Umstellung und Rückbesinnung
Durch die Corona-Beschränkungen seien die Beziehungen innerhalb des eigenen Haushalts aber noch einmal krass privilegiert worden, erklärt Rothmüller. Ein Teil der Menschen, die nicht mit intimen Partner*innen im gleichen Haushalt leben, hätten ihr Sexleben daher auf digital vermittelte Angebote umgestellt.
Bei vielen Menschen hätten die Einschränkungen in der Corona-Pandemie so aber auch zu einer neuen Wertschätzung für körperliche Nähe geführt, sagt Rothmüller.