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Bis heute haben Westdeutsche in Ostdeutschland das Sagen, in Führungspositionen tauchen Ostdeutsche quasi nicht auf. Viele Ostdeutsche fühlen sich deshalb als Menschen zweiter Klasse. Über mangelndes Selbstbewusstsein und absichtliche Ausgrenzung spricht Inforadio-Redakteurin Jana Ebert mit Peter-Michael Diestel, Jurist und letzter DDR-Innenminister (CDU) sowie Klaus Ernst, Gewerkschafter und Bundestagsabgeordneter der Linken.
Wenn Ostdeutsche sich in hohen Ämtern der Bundesrepublik nicht repräsentiert fühlten, sei das "ein tragisches, trauriges, aber auch realistisches Gefühl", so Diestel. Ostdeutsche seien damit von der "Führung eigener Lebensprozesse ausgegrenzt", sagte der Jurist. Ob DiplomatInnen, RichterInnen, hohes militärisches und akademisches Personal - überall fehlten heute an den Spitzen Menschen ostdeutscher Herkunft. "Ich glaube, dass sich dadurch viele Menschen im Osten fremdbestimmt fühlen." Für Diestel ist die Ausgrenzung kein Zufall, sondern geschehe mit System.
Ernst: Auch den Westen hat der Mauerfall verändert
Ernst sagt, er habe in der Wendezeit anderes beobachtet. So wurden vorhandene Eliten im Osten von den BürgerInnen schlichtweg nicht gewählt, sie hatten mit ihnen gebrochen. Auch im Westen kam es mit dem Mauerfall zu Veränderungen, so Ernst. Durch den Wegfall der Systemkonkurrenz geriet das Tarifsystem ins Wanken, denn im Osten ließ sich zu schlechteren Löhnen produzieren - bis heute, wie er sagt. Zudem arbeiten die Menschen in den neuen Bundesländern länger. Er kritisierte jedoch, dass man sich, um kollektiv etwas zu erreichen, auch organisieren müsse - dies scheuten einige ostdeutsche GewerkschafterInnen.
Diestel: DDR war kein "Misthaufen der Geschichte"
Ostdeutsche, so Diestel, hätten sich ihr Schicksal als BürgerInnen der DDR nicht ausgesucht - es wurde so nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmt. Man müsse heute Führungspersönlichkeiten aus dem Osten aufbauen, die demokratieskeptischen oder rechtsextremen Parteien etwas entgegenzusetzen hätten. Diestel sagte: Die Menschen in der DDR hätten schließlich nicht 40 Jahre lang auf einem "Misthaufen der Geschichte" gelebt, sondern brächten wertvolle Erfahrungen und Mut mit.
Positive Errungenschaften des Ostens erst spät erkannt
Ernst sagte, wie schade es sei, dass positive Errungenschaften des Ostens es nicht in den Westen geschafft hätten. Dazu zähle er großzügige Kinderbetreuung, Polikliniken, aber auch die höhere Erwerbstätigkeit von Frauen, was sich in besseren Renten und einem selbstständigeren Lebensstil niederschlage. Erst 30 Jahre später habe die Gesamtrepublik den Wert dieser Errungenschaften erkannt, so der Gewerkschafter.
Privatisierung als schmerzhaftes Kapitel der Wende
Auch die Treuhand bleibt ein sensibles und schmerzhaftes Kapitel der Wendegeschichte, sagte Diestel. Der "Weg der Privatisierung hat wehgetan", so das CDU-Mitglied, der jedoch den Prozess damals ausdrücklich mitgetragen hat. In anderen Transformationsländern wie Russland, Rumänien oder Polen seien hingegen instabile Oligarchien entstanden. Ernst hingegen kritisiert die Treuhand-Abwicklungen. Noch heute würden Menschen im Osten unter dem Privatisierungsprozess und den damit einhergehenden Verlusten leiden. Viele hätten sich deswegen auch von der Politik abgwendet oder würde extremistische Parteien wählen.