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- Das tote Gesicht

Claudia Marschner ist seit 25 Jahren Bestatterin. Sie war in den 90er Jahren im Zeichen von Aids eine der ersten, die Bestattungs-Konventionen aufgebrochen und persönliche Formen des Verabschiedens ermöglicht  hat.  Ihr Beruf hat sehr viel mit Gesichtern zu tun, sowohl mit denen der Toten als auch mit denen der Angehörigen. Ursula Voßhenrich hat mit Claudia Marschner über den Anblick Verstorbener und über Totenmasken gesprochen.

rbb: Frau Marschner, haben Sie denn gleich einen Eindruck, in welche Richtung Sie beraten und was Sie anbieten können, wenn Sie so eine Familie  sehen?

Claudia Marschner: Ich habe mich in den 25 Jahren ein bisschen spezialisiert, und in der Zeit durch Aids auch viel gelernt. Ich versuche immer, das Besondere in einem Menschen zu bebildern, wenn man so will: Soll die Urne gestaltet werden, gibt es Kinder, die auch Abschied nehmen möchten? Was war das für ein Mensch, der da gestorben ist? Manchmal muss man so ein bisschen bohren, und dann kommen immer Geschichten. Und die würde ich gern transformieren, weil man ja nur einmal Abschied nehmen kann.

Und was sind das dann für Begegnungen mit den Verstorbenen selbst?

In jungen Jahren, als ich in diesem Beruf Fuß gefasst habe, hatte ich immer noch eine Portion Angst. Das ging dann später über in Respekt. Ich habe mir mal Gedanken darüber gemacht, wie man ein totes Gesicht erklären kann. Kinder würden sehr schnell sagen: Opa ist gestorben, und der sah aus als wäre sein Akku leer. Genauso ist es. Man merkt erst an einem toten Gesicht, das auch nochmal anders ist als ein schlafendes Gesicht, wie wichtig Mimik ist. Ich glaube, wir geben mit dem Gesicht unendlich viele Signale aus. Und das fällt alles weg.  Das macht es für mich immer ein bisschen schwierig.

Ich merke dann, dass ich immer Zwiegespräche führe und sage: Hallo, ich bin Claudia, und ich kleide Sie jetzt an, und Ihre Kinder wollten das so … weil ich immer das Gefühl habe: Ich erkenne ja nicht, ob dem meine Nase passt. Man lernt ein bisschen zu tasten – wie jemand, der blind ist.

Das heißt ja - wenn Sie in so ein Zwiegespräch gehen - dass der tote Mensch irgendetwas ausstrahlt. Was können Sie in dem Moment da auch aus dem Ausdruck lesen?

Ich habe immer das Gefühl, dass vor mir eine Art von Kokon ist, also … es hat eine Entpuppung stattgefunden. Und dann denke ich immer: Es kann ja sein, dass der Geist hier irgendwo im Raum schwebt und mich auch beobachtet. Das ist kein zutiefst spiritueller Vorgang, das ist eher ein heiterer Umgang. Um immer auch Restängste so ein bisschen….

… nach wie vor, auch nach 25 Jahren?

Ja, es ist immer eine Mischung aus Angst und Respekt. Denn es ist schon ein Riesending. Der Tod kommt immer so schnell. Man atmet nicht mehr, und dann ist es aber so groß wie der Himalaya: Kaum zu erklimmen. Ich merke, dass viele Menschen traumatisiert sind. Sie haben Angst vor dem veränderten Gesicht. Das ist dann plötzlich fremd. Dieses Paket muss man erstmal im Kopf verarbeiten – weil es ja auch ein Spiegel ist: So werde ich aussehen, wenn ich mal sterbe.

Das ist tatsächlich anders als Schlafen?

Das ist "vorbei". Und dieses "Vorbei" ist so immens, dass ich davor immer noch so eine kleine Portion Angst und Aufregung habe – vielleicht ist das aber auch ganz gut.

Ich mag es zum Beispiel überhaupt nicht, wenn Leute … manchmal, selten, gibt es Friedhofsmitarbeiter, die durch den Raum rumpeln und irgendwas Sachliches erzählen. Dann sage ich: 'Das können Sie draußen besprechen. Jetzt hier nicht vor dem Toten.' Das ist ein Bereich von Ethik, den man auch nicht shreddern sollte. Es hat schon was Heiliges.

Es gibt ja die alte Tradition, verstorbene Angehörige aufzubahren, und die Nachbarschaft, die Freunde und Verwandten einzuladen. Um Abschied zu nehmen. Gibt es das eigentlich noch?

In Berlin selten. Viele haben die Zeit nicht dafür. Aber nach dem Gesetz ist es immer noch so: Wenn jemand zu Hause stirbt, kann er drei Tage zu Hause aufgebahrt bleiben. Der Arzt muss natürlich dagewesen sein und den Tod festgestellt haben. Und dann kann man Abschied nehmen. Weil wir ja gelernt haben, dass die Seele diese drei Tage braucht.

Bei der Hausaufbahrung ist es so, dass viele Menschen - auch die die eigentlich sagen: Ich glaub an gar nichts – dann doch das Bedürfnis haben, wenigstens ein, zwei drei Stunden Abschied zu nehmen. Jemanden über Nacht zu Hause zu behalten, ist für Menschen aber sehr merkwürdig. Daran merkt man, wie schnell so eine Familie getrennt wird. Man muss immer sagen: Ihre Mutter oder Ihr Ehemann tut Ihnen ja nichts. Und wenn sich etwas verändert, dann rufen Sie an, wir haben ja einen Notdienst.  Ich weiß nicht, ob da Horrorfilme greifen oder der Aberglaube… der Tod, der uns dann auch holen könnte, oder der  uns was antun könnte.

In Tel Aviv ist es übrigens so, hat mir gerade eine Hinterbliebene erzählt: Da sitzen die Menschen wirklich sieben Tage zu Hause, die ganze Familie. Und dann kann kommen wer will, und Abschied nehmen. Das wird da auch zelebriert.

Und gibt es öfter den Wunsch, dass die Verstorbenen aufgebahrt werden – entweder in einer Kapelle oder in einem Raum, den sie gemietet haben?

Ja, die Aufbahrung in einer Kapelle ist häufig gewünscht.

Ich habe mal erlebt, wie Angehörige oder enge Bekannte eine Verstorbene mit ihrem Handy fotografiert habe. Ich fand das irritierend. Erleben Sie so etwas manchmal?

In einer multikulturellen Stadt wie Berlin muss man zum Beispiel sehr häufig Trauerfeiern filmen - wir hatten mal eine Skype-Übertragung nach China – zu dem chinesischen Teil der Familie. Es war sehr spannend. Und es waren auch spannende Rituale. Aber da gab es eine Hauptkamera .... was ich nicht mag ist, wenn Leute vor oder während der Feier aufspringen, um die Urne oder den Sarg zu fotografieren. Es ist eine Unsitte, die ich nicht gut finde, weil die anderen, die gerade in die Stille gekommen sind, durch so einen Knipser rausgerissen werden. Abschied hat ja immer auch was von Meditation.-Ich sag immer: Ich mache, wenn Sie möchten, Fotos vor der Situation, von der Dekoration. Falls Familienmitglieder Bilder haben wollen.

Aber Gesichter fotografieren ist bei uns eher selten der Fall. In Deutschland ist es eher so, dass man den Tod nicht duplizieren soll. Sehr wenige Menschen haben den Wunsch, dass ich den Verstorbenen nochmal fotografieren soll.

Aber wenn - dann soll er geschminkt sein?

Nein. Wenn dann ist es immer für ein bestimmtes Familienmitglied. Nehmen wir mal an, hier stirbt ein Mann in meinem Alter, und seine betagte Mutter lebt im Schwarzwald. Dann macht man ein Foto, um den Abschied so nah wie möglich zu bringen. Mütter haben oft den Wunsch nach einem Foto, wenn sie nicht da sein können. Um das Gefühl zu haben: Er ist in Ruhe.

Ich habe den Eindruck, dass Sie den Beruf auch nach 25 Jahren immer noch gern machen.

Ja, ich finde halt Menschen so wunderbar. Wir müssen einfach irgendwie das Leben genießen. So eine celebration of life.

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