Thandi blickt auf die Altstadt von Jerusalem mit der Klagemauer und dem Felsendom (Bild: Jörg Poppendieck/rbb)
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- Der schwierige Alltag in Israel

Auf ihrer Weltreise sind Inforadio-Redakteur Jörg Poppendiek, seine Frau Kerstin und ihre Tochter Thandi in Israel angekommen. Ihre Eindrücke sind stark geprägt vom Nahost-Konflikt - Israelis und Palästinenser leben überwiegend voneinander separiert und sind sich fremd geworden.  

Israel: Bauhaus-Architektur in Tel Aviv (Bild: Jörg Poppendieck/rbb)
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Kerstin: Die ersten Tage unserer Israel-Reise sind surreal. Während wir die faszinierende Bauhausarchitektur Tel Avivs bestaunen, die Hummus-Restaurants der Stadt unsicher machen und Zeit am Strand verbringen, können wir in der Distanz Explosionen hören. Mehr als 700 Raketen werden aus dem Gazastreifen abgefeuert. Die israelische Armee verübt mehr als 300 Luftschläge. Unsere sechsjährige Tochter hört die Geräusche in der Distanz, kann sie aber Gott sei Dank nicht zuordnen. Und 12 Stunden später ist der Spuk dann auch wieder vorbei, zumindest für uns.  

Jörg: Wir atmen auf. Doch 48 Stunden später, es ist 20 Uhr abends, dann das: Alarm. Weil unsere Ferienwohnung im Dachgeschoss liegt, rennen wir nach unten ins Erdgeschoss, so hatten es uns unsere Vermieter bei Luftalarm empfohlen. Allerdings sind wir die Einzigen aus dem Haus, die nach unten gerannt sind. Die Sirene ist wieder aus, um uns herum ist es still, nur ein paar Hunde bellen in der Nachbarschaft. Mit pochenden Herzen gehen wir wieder nach oben in die Wohnung. Bei Twitter suche ich nach Informationen über die aktuelle Lage. Was ich finde, lässt mich aufatmen. Tel Aviv wurde nicht beschossen. Heute ist der Gedenktag für die gefallenen israelischen Soldaten und Opfer des Terrorismus. Deshalb die Sirene. Thandi schläft spät ein, die Aufregung hat sie mitgenommen.

Kerstin: Ein großes Hallo in der Wüste. Wir treffen Michael. Vor 13 Jahren haben wir ihn kennengelernt, bei einer Reise durch Afrika. Michael hatte damals seinen dreijährigen Wehrdienst beendet und war Single. Heute lebt er mit seiner Frau Maya und seinen beiden Töchtern Nuri und Gaya in Telalim, ein Kibbuz in der Negevwüste, knapp zwei Stunden von Tel Aviv entfernt.
Wir verbringen drei großartige Tage mit Michaels Familie. Wir wandern in der Wüste, kochen zusammen und reden über die aktuelle Lage und wie sie die Angriffe aus dem Gazastreifen wahrgenommen haben.

Michael: Hier in Israel sagen wir, wenn die Rakete nicht auf deinem Kopf landet, dann ist das ok. Aber eigentlich ist das nicht ok. Freunde von mir wohnen in der Nähe des Gazastreifens, die führen auf keinen Fall ein normales Leben. Aber wir haben uns natürlich irgendwie daran gewöhnt. Allerdings habe ich schon Angst um meine Kinder auch wenn ich weiß, dass wir hier Mitten in der Wüste recht sicher sind. Als jetzt aber Maya neulich zu ihrem Arbeitsplatz in der Nähe des Gazastreifens fahren musste, da hatte ich schon Angst, dass ihr etwas passieren könnte.

Jörg: Während wir in der Küche sitzen und reden, spielt Thandi draußen mit den Nachbarskindern. Michael befürchtet, dass sich die Situation in Israel in den kommenden Jahren nicht grundlegend ändern wird. Er geht davon aus, dass auch seine zweijährige Töchter Gaia und die einjährige Nuri noch zur Armee müssen, hofft aber, dass sie in keinem Krieg kämpfen müssen. Was ihn an der Situation heute stört, ist, dass er aufgrund der Mauer zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten im Grunde keinen Kontakt mehr zu Palästinensern hat. Das sei in seiner Kindheit noch anders gewesen.

Michael: Wir treffen die Anderen doch gar nicht mehr. Überhaupt, immerzu heißt es "die Anderen". Wir halten sie mittlerweile für den Teufel. Dabei wollen diese anderen doch auch nur in Frieden leben. Aber aufgrund dessen, was uns die Regierung erzählt, reagieren wir mit Angst. Ich hoffe, dass noch mehr Menschen verstehen, dass die Anderen ok sind. Wir zum Beispiel sind ja zusammen durch Afrika gereist und haben Menschen getroffen und mit ihnen gesprochen. Dadurch hat sich unsere Meinung über Afrika auch verändert. Wir haben vorher gedacht, dort gibt es nur Armut und Hunger, aber so ist es letztlich nicht. Afrika ist großartig. Und so ist es auch mit Palästina, Gaza und Israel. Dort gibt es wunderschöne Orte. Ich war als Soldat häufig in Nablus, aber ich würde die Stadt heute auch gern als Tourist entdecken, was mir aber nicht erlaubt ist. Ich hoffe, dass sich das alles irgendwann ändert.

Jörg: Der Abschied aus dem Kibbuz fällt uns schwer, aber wir wollen weiter. Nach Jerusalem, ans Tote Meer und auch in die Palästinensergebiete.

Markteinkauf mit Koch Fadi (Bild: Jörg Poppendieck/rbb)
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Kerstin: Wir sind, wie Michael es formuliert hat, bei den Anderen. In den palästinensischen Autonomiegebieten. In Bethlehem. Auf dem Markt. Es riecht nach Gewürzen und reifen Früchten. Frauen mit Kopftüchern verkaufen Weinblätter und grüne Kichererbsen. Unser Begleiter ist Fadi, er ist Koch. Mit ihm zusammen wollen wir typisch palästinensisch kochen. Wenn wir in anderen Ländern sind, besuchen wir gern Märkte und kochen mit Einheimischen. Das ist auch für Thandi spannender als der Besuch in Museen. Unsere sechsjährige Tochter ist jedenfalls ganz begeistert von Fadi, der alle Händler des Marktes zu kennen scheint. Überall darf sie kosten. Mandeln, Gurken, rohes Fleisch...

Interview mit dem Koch Fadi (Bild: Jörg Poppendieck/rbb)
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Jörg: In Fadis Restaurant machen wir uns dann ans Werk. Wir versuchen uns an mit Reis und Gemüse gefüllten Weinblättern und Qatayef  - das sind kleine Pfannkuchen, die mit Nüssen und Käse gefüllt werden, und die eine Spezialität während des Ramadans sind. Während wir mit den Weinblättern hadern, reden wir. Über die palästinensische Küche, über die jüngsten Ereignisse im Gazastreifen und über die in Bethlehem unübersehbare Mauer.

Fadi: Ich lache immer, wenn Leute kommen und sagen, ich bringe dir jetzt mal bei, wir ihr zusammenleben könnt. Wir können uns doch gar nicht mehr daran erinnern, wie das geht. Das war mal anders. Diese Mauer hat zu einen Desaster geführt. Alle Palästinenser und Israelis, die nach dem Mauerbau zur Welt gekommen sind, wissen doch gar nichts mehr über den Anderen. Die Palästinenser haben in zwei Fällen mit Israelis Kontakt. Wenn sie auf Siedler treffen oder auf Soldaten, die illegale Razzien in palästinensischen Städten durchführen. Und die Israelis sehen uns als billige Arbeitskräfte  oder als gewalttätige Widerständler. Deshalb muss diese Mauer verschwinden.

Kerstin: Unsere sechsjährige Tochter hört bei dem Gespräch nur am Rande mit. Sie ist schwer beschäftigt. Gerade versucht sie eine Zucchini zu entkernen, damit die später mit Hackfleisch gefüllt werden kann. Eine von Fadis Angestellten steht hinter ihr und hilft ihr geduldig bei ihren ersten Einsatz in einer Restaurantküche. Fadi schiebt derweil ein Blech Tomaten in den Ofen. Der 41-Jährige kommt aus Bethlehem und hat in den vergangenen Jahren in Spitzenrestaurants in Paris und London gearbeitet. 2015 ist er zurückgekommen in die besetzten Gebiete. Er will mit seinem Restaurant der Welt zeigen, dass es trotz der Besetzung sehr wohl palästinensische Spitzenküche gibt. Fadi erzählt, dass es ihn wütend macht, wenn die palästinensische Küche auf Streetfood wie Hummus und Falafel reduziert wird. Fadi ist meinungsstark und das nicht nur beim Thema Essen. Der palästinensische Koch arbeitet nebenbei auch als politischer Analyst. Und als solcher macht er sich für einen grundlegenden israelischen Politikwechsel stark. Es müsse der einlenken, der am längeren Hebel sitze.  

Fadi: Die Menschen müssen verstehen lernen, dass man jemanden nicht unterdrücken und dann erwarten kann, dass sie sich wie Engel verhalten. Wir hören jetzt, dass US-Präsident Trump einen neuen Plan hat. Der wird letztlich zu mehr Unterdrückung und noch weniger Möglichkeiten für die Palästinenser führen. Warum versuchen wir es nicht mal anderes herum? Gebt den Menschen das Recht zu menschenwürdig zu leben, entschädigt sie für die Verluste und das Leid, das sie ertragen mussten. Ich bin mir sicher, dann würden sich die Menschen besser verhalten. Die Palästinenser sind großartige Menschen. Nicht anders als die Menschen in Berlin, Paris oder Tel Aviv.

Israel: Grenzübergang in Jerusalem (Bild: Jörg Poppendieck/rbb)
Bild: Jörg Poppendieck/rbb

Jörg: Nach dem gemeinsamen Essen mit Fadi machen wir uns auf den Heimweg nach Jerusalem, wo unsere Ferienwohnung ist. Eigentlich sind es bis dahin nur wenige Kilometer, aber die beiden Städte trennt eine 12 Meter hohe Mauer und ein Checkpoint, durch den wir müssen. So erleben wir, wie es den vielen Palästinensern geht, die jeden Tag Checkpoints passieren müssen, weil sie in Israel Arbeit gefunden haben. Eine Grenzerfahrung, die ich so nicht noch mal machen möchte. Bis wir unseren Pass vorzeigen, vergeht gut eine halbe Stunde. Schmale Gänge, Menschenmassen, blockierende Drehkreuze, Ansagen nur über Lautsprecher. So unwohl und ausgeliefert habe ich mich noch nie gefühlt.

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Die Ankunft Kerstin, Jörg und Thandi Poppendieck
rbb/Jörg Poppendieck

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"Investieren Sie in Erlebnisse, nicht in Gegenstände!" Diesem guten Rat folgt Inforadio-Redakteur Jörg Poppendieck: Gemeinsam mit seiner Frau Kerstin und Tochter Thandi reist er ein Jahr lang um die Welt - in Länder, die sie schon kennen und welche, in denen sie noch nie waren. Im Inforadio berichten sie von ihren Erlebnissen als Familie auf Weltreise.