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Honky-Tonk-Bars und Country-Musik ab 11 Uhr morgens: Nashville, die Hauptstadt des Bundesstaates Tennessee, ist nicht die erste, nicht die zweite und nicht die dritte Wahl von Inforadio-Reporter Jörg, doch ein Herzenswunsch von Ehefrau Kerstin. Und Tochter Thandi liebt Musik. Familie Poppendieck lässt sich auf ein musikalische Erlebnis ein, das von Musikern dominiert wird.
Jörg: Nashville war die erste Stadt der USA, die eine UKW Lizenz bekam. Das war 1941. Einige der bekanntesten Musiker und Musikerinnen Nashvilles sind Johnny Cash, Dolly Parton, Willie Nelson, Elvis Presley und Taylor Swift. Elvis Presley hat mehr als 200 Lieder in Nashville aufgenommen, darunter "Love me Tender", "Blue Suede Shoes" und "Heartbreak Hotel". Seit den 1950ern ist der Slogan der Stadt: Nashville - Music City.
Kerstin: Es ist nicht leicht, in Nashville den Überblick über all die Konzerte zu behalten, die jeden Tag stattfinden. Bars, Café, Clubs, Konzerthallen – ab zehn Uhr morgens kann man Livemusik hören, sieben Tage die Woche. Noch nie habe ich eine Stadt erlebt, die so stolz und allgegenwärtig ihre Musik präsentiert. Sonntagmittags zum Beispiel stellen sich im 3rd and Lindsley Songwriter dem Publikum vor. Denn Nashville ist nicht nur ein Paradies für Musikliebhaber, sondern auch für Songschreiber, die hierher ziehen, um für die großen Stars der Szene Lieder zu schreiben. Vom ersten Tag in Nashville an sind wir von der Freundlichkeit und Offenheit der Menschen beeindruckt. Genauso offen ist auch die Stimmung in diesem Club. Musiker und Musikfans kommen schnell ins Gespräch.
Leslie Satcher: Nashville ist seit Generationen schon ein kreatives Zentrum für Musiker. Künstler aus aller Welt kommen hierher, um mit anderen Kreativen zusammenzuarbeiten. Und es werden immer mehr. Außerdem ist Nashville einfach ein guter Ort zum Leben. Das Klima ist mild und die Landschaft wunderschön. Das ist einfach inspirierend.
Jörg: Leslie Satcher ist vor 30 Jahren nach Nashville gezogen. Heute ist sie eine der erfolgreichsten Songschreiberinnen hier. Willie Nelson, Merle Haggard und Reba McEntire zum Beispiel haben ihre Lieder gesungen. Und jetzt sitzt sie uns gegenüber, redet mit uns über unsere Reise und schreibt ein Autogramm für Thandi auf dem steht: God bless you, Gott segne dich. Meine sechsjährige Tochter beeindruckt das weniger, mich sehr. Ursprünglich kam Leslie Satcher nach Nashville, um als Sängerin Karriere zu machen. Aber es dauerte nicht lange, bis sie feststellte, dass es Künstlerinnen hier schwer haben.
Leslie Satcher: Es ist schon eine ganze Weile so, dass männliche und weibliche Musiker hier nicht gleichberechtigt behandelt werden. Frauen haben kaum Platz. Sie werden hier einfach nicht gespielt. Man hat mir gesagt, dass bei Umfragen rausgekommen wäre, dass vor allem Frauen Musik kaufen und hören würden. Und die wollen junge, heiße Typen hören. Für die Musik von Frauen würden sie sich nicht interessieren.
Jörg: Unter den Top Ten der erfolgreichsten Countrymusiker aller Zeiten gibt es eine einzige Frau: Reba McEntire, die anderen neun sind Männer. Und von den aktuell 139 Mitgliedern der Country Music Hall of Fame in Nashville sind gerade mal 20 weiblich. Vor einigen Jahren sagte ein Radioberater ganz offen: Country-Sängerinnen sind die Tomaten im Salat, Sänger sind die Salatblätter, die Hauptzutat. Radiosender die erfolgreich sein wollen, sollten laut seiner Empfehlung Musikerinnen besser ganz aus dem Programm lassen. Man sieht Leslie Satcher an, wie sehr sie sich darüber ärgert, aber gleichzeitig nimmt sie solche Aussagen als Kampfansage.
Leslie Satcher: Mich hat das noch nie wirklich gestört. Für mich ist es eher eine Herausforderung. Ich muss eben mindestens genauso gut wie die Männer sein oder besser als sie. Ich schreibe auch zusammen mit Männern Lieder und auch für männliche Künstler. All das hat mich zu einer besseren Songschreiberin gemacht.
Jörg: Wir fahren nach Downtown Nashville, das musikalische Zentrum der Stadt. Ein Besuch auf dem Broadway zeigt uns dasselbe Ergebnis: Auch hier hören wir kaum Frauen.
Kerstin: Auf den Broadway geht heute kaum noch jemand, um Musiker zu entdecken. Da wird eher viel getrunken und gefeiert. Für einen authentischen Einblick in die Country-Hauptstadt Nashville geht man in die Grand Ole Opry. Jeden, den wir nach Tipps gefragt haben, hat gesagt: da müssten wir hin. Es ist nicht leicht, hier Karten zu bekommen, denn gerade am Wochenende reisen Countryfans aus dem gesamten Land an. Die Grand Ole Opry ist wohl der wichtigste Veranstaltungsort für Countrymusik in den USA. Ein großer Konzertsaal mit roten Samtsitzen schweren Bühnenvorhängen und Leinwand. Wir fühlen uns ein bisschen wie auf einer musikalischen Zeitreise in die Vergangenheit. Jeden Abend präsentieren sich mehrere Countrymusiker. Und auch hier sind die weiblichen Künstler auf der Bühne den männlichen zahlenmäßig weit unterlegen. Ist das erst ein Phänomen der jüngsten Zeit?
Kerstin: Wir besuchen die Country Music Hall of Fame und das dazugehörigen Museum. Alles was es über amerikanische Countrymusik der vergangenen hundert Jahre zu sagen, sehen und hören gibt, findet man hier. Thandi bewundert vor allem die vielen Cowboystiefel, Jörg steht lange vor Elvis' goldenem Cadillac, und ich unterhalte mich mit John Rumble. Er ist Musikhistoriker und arbeitet hier. Er erzählt von der berühmt-berüchtigten Besetzungscouch und den ersten Frauen in der Countrymusik.
John Rumble: Da gab es durchaus wichtige Musikerinnen. Aber es waren eben nur wenige. Am Anfang war es noch so, das Frauen im Hintergrund gesungen haben. Das waren meistens die Ehefrauen oder Töchter der Bandleader. Erst in den 50ern und 60ern gab es auch Frontfrauen.
Kitty Wills zum Beispiel war eine der ersten Bandleaderinnen. Sie hatte 1952 ihren Durchbruch mit dem Hit "It Wasn't God Who Made Honky Tonk Angels". Frauen konnten natürlich am besten die weibliche Sichtweise präsentieren.
John Rumble: Von da an hatte jede Dekade seine weiblichen Stars. Aber nach wie vor ist es eine männliche Welt. Bis heute gibt es jede Menge Geschichten über die berühmte Besetzungscouch. Geschichten von Frauen, die ins Studio kammen, weil sie Sängerin werden wollten. Woraufhin der Produzent auf die Couch gezeigt haben soll. Und wenn die Frau dann sagte: Ich werde nicht mit dir schlafen, nur um einen Plattenvertrag zu bekommen. Dann war nicht selten die Antwort des Produzenten: Dann willst Du wohl doch keinen Plattenvertrag.
Jörg: Dass Frauen in der Musikbranche alles andere als gleichberechtigt behandelt werden, ist nicht nur in der Countrymusik der Fall, sondern ein Phänomen, das die gesamte Branche betrifft. Aber hier in Nashville hören wir es natürlich vor allem von Countrymusikerinnen.
Als wir die 19jährige Musikerin Rachel McKamy treffen, gefallen Thandi vor allem ihre Korkenzieherlocken. Mich dagegen hat ihre Stimme und ihr Kalkül beeindruckt. Und auch wenn die 19-Jährige erst am Anfang ihrer Karriere steht, ist sie doch sinnbildlich für die Situation vieler Countrymusikerinnen hier in Nashville. Ihr ist sehr wohl bewusst, wie schwer es Musikerinnen hier haben. Aufgeben kommt für sie aber nicht in Frage. Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Manchmal ist die Lösung eben etwas unkonventioneller.
Rachel McKamy: Ich versuche meine Lieder aus einer männlichen Perspektive zu schreiben. Dadurch hoffe ich, meine Chancen zu erhöhen, dass männliche Musiker meine Lieder auswählen. Ich hab lange genau analysiert, wie Männer Songtexte schreiben. Wenn man das erst mal verstanden hat und dazu auch noch weiß, wie Männer Frauen wahrnehmen, dann ist es ganz einfach, Lieder aus der männlichen Perspektive zu schreiben.