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Auf ihrer Weltseite haben Familie Poppendieck – das sind Inforadio-Redakteur Jörg Poppendieck, seine Frau Kerstin und ihre sechsjährige Tochter Thandi – Lateinamerika erreicht und erkunden Mexiko... dort leben sie bei einer Gastfamilie, spüren die Differenzen der Menschen um den neu gewählten Präsidenten Andrés Manuel López Obrador und - lernen Spanisch.
Kerstin: Und so stehen wir voller Erwartung vor einem weißen Reihenhaus am Rande von Tulum, ein Dorf auf der Halbinsel Yucatan. Unser neues Zuhause für die kommenden Tage. Unsere Gastmutter heißt Rosie. Eine kleine Frau mit dunklem Haar und einem breiten Lächeln im Gesicht. Sie empfängt uns an der Tür und zeigt uns ihr Haus und unser Zimmer. Viel verstehen wir nicht von ihrem Redeschwall. Lächeln und lachen geht aber immer.
Jörg: Unser Zimmer ist klein. Vielleicht acht Quadratmeter. Es gibt zwei Einzelbetten in denen wir zu Dritt schlafen, einen kleinen Klappstuhl, an den weißen Wänden hängen ein Fernseher und eine Klimaanlage, hinter einem grauen Vorhang steht ein Regal. Nachdem wir unsere Koffer ins Zimmer geschleppt haben, ist es voll. Platz ist nur noch auf den Betten. Kein Problem denken wir. In den vergangenen Wochen waren wir unter anderem mit Wohnmobilen unterwegs. Mit Enge kommen wir klar.
Kerstin: Wir duschen und gehen wenig später in Rosies Wohnküche. Dort lernen wir den Rest ihrer Familie kennen. Ihren Mann Miguel und ihren Sohn Manuel und seine siebenjährige Tochter Aruma, die schüchtern auf der Couch sitzt. Manuel ist alleinerziehender Vater, 34 Jahre alt und am ganzen Körper tätowiert. Er ist Tattoo-Artist und arbeitet immer wieder für mehrere Wochen in den USA, deshalb spricht er englisch. Während Rosie noch in der Küche werkelt, erzählt er uns, dass ihre Familie häufig Sprachstudenten aufnimmt. Wir seien aber die erste deutsche Familie. Die meisten Stunden kämen aus den USA.
Manuel: Wir profitieren finanziell. Und wir profitieren, weil wir Menschen aus anderen Ländern kennenlernen. Man kann sich austauschen, lernt andere Sichtweisen und Standpunkte kennen und natürlich auch andere Kulturen. Für meine Familie und meine Tochter und mich, ist das eine großartige Erfahrung, die wir machen können. Wir treffen Menschen aus anderen Ländern, die anders denken als wir. Das erweitert meinen Horizont.
Jörg: Mittlerweile steht das Essen auf dem Tisch. Es gibt Tacos mit Käse und Hähnchenfleisch. Wir essen und reden über unsere Familien in Deutschland und über mexikanisches Essen. Langsam, denn Manuel muss immer wieder übersetzen. Am Ende landen wir beim Thema Politik. Schnell merken wir, dass das Thema unsere Gastfamilie beschäftigt. Mexiko hat seit Ende des vergangenen Jahres einen neuen Präsidenten. Andrés Manuel López Obrador, von der Bevölkerung wird er AMLO genannt. Mehr als 50 Prozent der Wähler haben für ihn gestimmt. Unser Gastgeber Manuel gehört nicht dazu.
Manuel: Ich verstehe nicht viel von Politik, aber ich mag den neuen Präsidenten nicht. Aber viele sehen das anders. Für sie ist er die neue, große Hoffnung Mexikos. Ich mag seine Methoden nicht, und ich vertraue ihm einfach nicht. Er ist besessen von der Macht. Er hat drei Mal versucht, Präsident zu werden.
Kerstin: Obrador ist der erste linksgerichtete Präsident Mexikos seit Jahrzehnten und er hat versprochen, sein Land auf den Kopf zu stellen. Nach seiner Vereidigung im Dezember vergangenen Jahres hat er eine friedliche und geordnete aber auch tiefgreifende und radikale Wende angekündigt. In der Rede hat er auch gesagt, dass er Schluss machen werde mit Korruption, Straflosigkeit und der katastrophalen neoliberalen Politik in Mexiko.
Jörg: Einen 100-Punkte-Plan hat er bei seiner Antrittsrede dem mexikanischen Volk präsentiert. Neben mehr Sicherheit will er auch die Treibstoffpreise senken und mehr Arbeitsplätze für junge Menschen schaffen. Ich frage Rosie, unsere Gastmutter, was sie denn glaubt, was AMLO in den kommenden zwei Jahren realisieren wird. Bevor sie antwortet, atmet sie einmal tief durch. Wie ihr Sohn Manuel ist sie ganz klar kein AMLO-Fan.
Rosi: Ich weiß nicht... erstens weil er sehr viele Sachen versprochen hat. Darum gibt es viele Leute, die ihn zwar gewählt haben, aber jetzt schon enttäuscht sind. Ich glaube aber auch, dass es schwierig ist so vieles zu ändern in nur zwei Jahren. Als eine der ersten Sachen will er zum Beispiel die Korruption im staatlichen Ölkonzern Pemex beenden. Es gibt ja derzeit Städte, in denen es kein Benzin zu kaufen gibt. López Obrador sagt, das sei so, weil er das allgegenwärtige Abzapfen von Benzin unterbunden hat und mit der Korruption Schluss machen will. Ihretwegen wurde der Ölkonzern ja im großen Stil ausgeraubt. Das ist eine der Sachen, die er angeblich in Angriff genommen hat und wenn der das schafft, werde ich das auch anerkennen. Aber ich glaube trotzdem, dass zwei Jahre nur wenig Zeit sind um all die Sachen zu ändern, die er versprochen hat.
Jörg: Am nächsten Morgen starten wir unseren Sprachkurs. Weil wir in den kommenden Wochen durch spanischsprachige Länder reisen werden, besuchen wir in Tulum eine Sprachschule. Und die erweist sich als Glücksgriff. Allein aufgrund der Lernatmosphäre. Unterrichtet wird draußen an kleinen hölzernen Tischen unter einem Schilfdach. In dem Garten, der gleichzeitig die Schule ist, stehen Palmen - auf dem Nachbargrundstück scharren Hühner im Boden, Vögel zwitschern.
Kerstin: Hier verbringen wir unsere Vormittage. Wir alle drei sind in unterschiedlichen Kleingruppen. Thandi, die mit ihren 5 Jahren noch nie eine Schule besucht hat, bastelt, malt und spielt mit ihrer Lehrerin - und lernt so spanische Vokabeln. Gemeinsam versuchen wir dann später beim Mittag- und Abendessen mit Rosie, Miguel, Manuel und Aruma unsere neu erlernten Spanischkenntnisse anzuwenden.
Kerstin: Während wir in Tulum ganz im Südosten Mexikos bei unserer Gastfamilie leben und zur Sprachschule gehen, geschieht in einer Kleinstadt nördlich von Mexiko-Stadt mehr als 1.000 Kilometer weit entfernt ein Unglück. Eine angezapfte Benzinpipeline explodiert. Mehr als 80 Menschen sterben. In den Tagen davor hat es in vielen Bundesstaaten Mexikos an Tankstellen kein oder kaum Benzin gegeben. Folgen der Politik des neuen Präsidenten Obrador. Weil der mafiös organisierte Benzinklau ein riesiges Problem ist, hat die Regierung betroffene Pipelines stilllegen lassen und Zehntausende Soldaten an neuralgischen Punkten zum Einsatz gebracht.
Jörg: In der Sprachschule spreche ich über das Geschehene mit meinem Sprachlehrer Julio, der sich selbst als Anhänger des Präsidenten bezeichnet. Der 34jährige sagt, dass AMLO endlich durchgreift und versucht, Mafias und Korrupten die Stirn zu bieten.
Yulio: „Ich bin froh darüber, dass er unser neuer Präsident ist. Er spricht zum Beispiel ganz anders als die anderen Politiker. Ich habe Sprachwissenschaften studiert. Und es ist interessant, ihm zuzuhören. Man merkt, dass er anders denkt. Er hat wirklich andere Ideen, eine andere Ideologie. Korruption ist für ihn ein wichtiges Thema. Während die anderen Politiker in ihren Reden lediglich sagen, dass sie die Korruption beenden wollen, spricht er von konkreten Plänen und Maßnahmen."
Jörg: Die Abschlusszeremonie in unserer Sprachschule. Stolz stehen wir mit unseren Diplomen in der Hand, vor allem Thandi strahlt über das ganze Gesicht - und versuchen mitzusingen. Auf Spanisch natürlich.