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Einmal im Monat heißt es bei uns "Alles hat drei Seiten" - dann gehen wir mit einer kleinen Familie auf Weltreise: Inforadio-Redakteur Jörg Poppendieck ist ein Jahr lang unterwegs mit seiner Frau Kerstin und ihrer Tochter Thandi, sechs Jahre alt. Gemeinsam wollen sie die spannende Orte der Erde erkunden, und dann in den Inforadio-Weltsichten sehr persönlich über ihre Erlebnisse berichten. Ihre aktuelle Station führt sie und uns nach Neuseeland...
Jörg: Das Finale der Rugby-WM. Kurz vor Spielbeginn. Neuseeland gegen Frankreich. Die All Blacks die neuseeländische Mannschaft steht auf dem Feld und führt einen Haka auf, ein ritueller Tanz der Maori, Neuseelands Ureinwohner. Bei dem Tanz geht es darum, den Gegner einzuschüchtern, in diesem Fall Frankreich. Ich weiß nicht, wie oft meine Tochter und ich uns dieses Video im Internet angeschaut haben - quasi als Reisevorbereitung auf Neuseeland - am Ende hieß es immer - "noch mal". Damit war klar, was auf unserer To-do-Liste für Neuseeland ganz oben steht.
Kerstin: Wir sind auf dem Weg nach Rotorua. Die Kleinstadt liegt auf der Nordinsel rund 3 Stunden mit dem Auto von Auckland entfernt. Rotorua ist, was vor allem Jörg freut, ein geothermisches Wunderland. Die Gegend ist bekannt für ihre natürlichen heißen Quellen, für emporschießende Geysire, blubbernde Schlammbäder und für ihre Maori-Ureinwohner.
Jörg: Die touristische Vermarktung der Maori-Kultur ist nirgendwo in Neuseeland so groß wie in Rotorua. Kein Reiseblogger, kein Reiseführer, keine Website, die nicht empfiehlt, hier einen Stopp einzulegen - wegen der Natur und der Maori. In allen größeren Hotels gibt es jeden Abend Einführungsveranstaltungen in die Maori-Kultur, dazukommt ein sogenanntes "lebendes Maori-Dorf", das besichtigt werden kann.
Kerstin: Direkt im Stadtzentrum von Rotorua liegt das Büro von Michelle Templer. Sie ist die Chefin des örtlichen Tourismus-Verbands. Sie erzählt uns, dass das Interesse an Maori-Kultur in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat und für die Stadt mit der wichtigste Industriezweig ist. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 3 Millionen Touristen und haben gut 400 Millionen Euro in der Gegend hier ausgegeben.
Michelle Templer: In den 70ern waren wir bekannt für den vielen Platz, den wir haben und die vielen Schafe. Auch heute kommen die Menschen wegen der Landschaft nach Neuseeland. Woran sie sich aber meist erinnern, sind ihre Kontakte mit den Menschen hier. Die Maori und ihre Kultur gehören zum Kern Neuseelands. Deshalb ist es auch richtig, dass Neuseeland mittlerweile so prominent mit ihnen wirbt. Es geht dabei auch darum, Verständnis für die Kultur des jeweils anderen zu schaffen.
Jörg: Vier kräftige Männer mit nackten, tätowierten Oberkörpern stehen auf einer Bühne und führen die offizielle Begrüßungszeremonie der Maori auf. Sie sind mit einer Art Speer bewaffnet. Wir sind in Te Puia, dem neuseeländischen Kulturinstitut der Maori und schauen uns eine Einführung in deren Kultur an. Vor allem unsere fünfjährige Tochter Thandi sitzt gebannt auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe. Wir lernen, dass zu der kriegerisch aussehenden Begrüßung auch der Hongi gehört, der gerne als Nasenkuss bezeichnet wird. Und dass der Haka nicht nur ein Kriegstanz ist, mit dem früher Gegner eingeschüchtert werden sollten. Heute werden sie auch komponiert, um zum Beispiel Unzufriedenheit mit der Regierung zum Ausdruck zu bringen, erzählt uns Huia Clayton vom Kulturinstitut.
Huia Clayton: Ich will ehrlich sein. Es ist sehr wahrscheinlich der aggressivste Tanz der Polynesischen Völker. Es geht beim Haka letztlich darum, sich auf eine Schlacht vorzubereiten. Das was ihr hier zu sehen bekommen habt, ist eine verwässerte Variante. Ein echter Haka ist so grotesk anzuschauen, ihr könntet kaum hingucken. Speichel läuft dabei aus dem Mund, Sekret aus der Nase und Adern treten hervor. Wir tanzen diese Variante hier, damit die Menschen unsere Performancekunst auch annehmen können. Wir als Ethnie und unsere Kultur haben sich aufgrund der Veränderungen auf der Welt weiterentwickelt. Wir nutzen mittlerweile auch Musikinstrumente - Gitarren, E-Gitarren und sogar Trommeln. Es gibt internationale Popkünstler die Maori-Tänzer mit auf der Bühne haben, die zu ihrer Musik tanzen. Es geht darum, Wege und Möglichkeiten zu finden, der Welt unsere Kultur vorzustellen auch wenn das nicht auf traditionelle Art und Weise geschieht.
Jörg: Dabei hat die Kultur der Maori in den vergangenen Jahrzehnten eine Renaissance erlebt erzählt Huia Clayton, der fast jeden Abend für Touristen singt, tanzt und Gitarre spielt. Als Beleg dafür führt er die Sprache der Maori - Te Reo - an. Wie die Sprache vieler anderer Ureinwohner galt auch sie lange als bedroht. Nach Protesten ist sie seit 1987 in Neuseeland neben English offizielle Amtssprache.
Huia Clayton: Mittlerweile findest Du wieder mehr Maori-Kinder, die unsere Sprache in der Grundschule lernen und in Te Reo unterrichten. In meiner Generation, ich bin 45, findest Du das nicht. Ich hatte diese Möglichkeit nicht und musste mir unsere Sprache in dem Alter selbst beibringen. Meine erste Sprache ist Englisch. Erst im Teenageralter habe ich unsere Sprache richtig gelernt. Von den 470.000 Maori, die in Neuseeland leben, sprechen mittlerweile zwischen 10 und 15 Prozent fließend Te Reo. In den 80ern so das noch ganz anders aus, Da waren es maximal zwei Prozent.
Kerstin: Von einer ähnlichen Entwicklung erzählt uns auch Thomas Clark. Er ist Ta Moko Künstler. Ta Moko das sind Tätowierungen des Körpers und des Gesichts. Das Studio von Thomas Clark verbirgt sich hinter einer unscheinbaren Tür in einem runtergekommenen Einkaufszentrum am Rande von Auckland. Kein Klingelschild, keine Werbung. All das braucht Thomas Clark nicht. Er hat einen guten Ruf in der Szene und setzt auf das Internet. Das was er macht, gilt den Maori als heilige Kunstform und ist mittlerweile wieder ein integraler Bestandteil ihrer Kultur.
Mit verschränkten, tätowierten Armen und im gelben T-Shirt hat sich der 54jährige auf die braune Couch in seinem Ta-Moko-Studio gesetzt. Mit einem Lächeln im Gesicht erzählt er, dass die Maori so wie den Haka und ihre eigene Sprache auch die Tattoo-Kunst wiederentdeckt haben. Bis in die 90er wurden Mokos noch mit Armut und Gewalt assoziiert - heute wird diese Kunstform vom Staat gefördert.
Thomas Clark: Mittlerweile ist es schon ungewöhnlich einen Maori ohne Tattoo zu finden. Sie sind deutlich in der Minderheit. Diese Entwicklung hat Ende der 80er Anfang der 90er begonnen. In den 70ern waren es Gangster und Gangs, die diese Kunst vor dem Aussterben bewahrt haben. Sie haben sich im Gefängnis tätowiert. Allerdings fehlte ihnen damals das Wissen. Kurze Zeit später, haben sich einige wenige Ta-Moko Künstler zusammengetan und diese Bewegung geschaffen.
Kerstin: Ein Moko erzählt immer die persönliche Geschichte des Tätowierten - zum Beispiel zu welchem Stamm er gehört, woher er kommt, was er erlebt hat. Maori, die Thomas Clark in seinem Tattoo-Studio besuchen, unterhalten sich deshalb zunächst. Das dauert mal einige Stunden, mal Tage. Zusammen besprechen sie das Design des Tattoos.
Thomas Clark: Dieser ganze Prozess ist unglaublich emotional, bis sie dann am Ende ihr Moko tätowiert bekommen. Für einige ist das Ganze auch eine Form von Heilung. Manche weinen auch, wenn sie ihr fertiges Moko zum ersten Mal anschauen können. Oft sind auch die Familien mit dabei. Es wird gesungen, Gitarre gespielt und gelacht. Es kann ein ganz intimer Prozess sein, aber vor allem bei den Mokos im Gesicht sind meist die Familien dabei, um diejenigen zu unterstützen.
Jörg: Das kann ich mir gut vorstellen, dass dabei moralische Unterstützung nötig ist, bei Männern wird schließlich meistens das gesamte Gesicht tätowiert, bei Frauen nur das Kinn. Aber immerhin! Ich muss zugeben, der Anblick ist gewöhnungsbedürftig und irgendwie auch wirklich einschüchternd …das sollte ursprünglich ja auch der Sinn sein. ... In jedem Fall fallen sie damit auf, die Maoris, die mit 15 % Bevölkerungsanteil größte Minderheit in Neuseeland. Und nachdem, was wir hier von ihnen gesehen und mit ihnen erlebt haben, ist das indigene Volk der Maori wieder stolz auf seine Geschichte und seine Kultur und zeigt das mittlerweile auch wieder gern. Thandi hat es beeindruckt…