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Inforadio-Redakteur Jörg Poppendieck ist ein Jahr lang unterwegs mit seiner Frau Kerstin und ihrer fünfjährigen Tochter Thandi. Gemeinsam wollen sie spannende Orte der Erde erkunden, und dann in den Inforadio-Weltsichten sehr persönlich über ihre Erlebnisse berichten. Ihre aktuelle Station führt sie und uns nach Indonesien, genauer gesagt auf die Insel Sumatra.
Jörg: Jetzt weiß ich wieder, wie sich ein Kulturschock anfühlt. Wir sind im Auto unterwegs, im Norden Sumatras und wir fahren vom Flughafen der 2-Millionenstadt Medan nach Bukit Lawang. Wir wollen in den Regenwald. Doch der Weg dahin ist beschwerlich. Medan ist auf den ersten Blick laut, unglaublich dreckig, voll und gefühlt ein einziger Megastau. Die Stadt gilt als eine der hässlichsten Asiens. Mir fehlen die Vergleichsmöglichkeiten, aber schön ist anders.
Kerstin: Für 130 Kilometer brauchen wir 5 Stunden. Erst zuckeln wir im Schneckentempo durch Medan und später sind die Straßen so schlecht. In den Schlaglöchern könnte man bei Regen schwimmen gehen. Doch irgendwann sind wir da. In Bukit Lawang. Ein kleines Dorf vor einer grünen Wand. Der Regenwald. Hier beginnt der Gunung Leuser Nationalpark, eines der größten Naturreservate in ganz Indonesien.
Wir wollen in den Dschungel, um Orang-Utans zu sehen. Sorgen macht uns die anstrengende Wanderung, die uns bevor steht. "Das ist ja jetzt nicht so, wie durch den Grunewald zu gehen", bemerkt Tochter Thandi ganz richtig.
Jörg Die rot-braunen Menschenaffen sind die größten auf Bäumen lebenden Tiere der Erde. Und sie sind extrem bedroht. Es gibt schätzungsweise weltweit nur noch 50-Tausend - sie leben entweder auf der indonesischen Insel Borneo und oder auf Sumatra, wo wir gerade sind.
Kerstin: In Bukit Lawang gab es vor Jahren mal eine Auswilderungsstation für Orang-Utans. Die Tiere, die man hier mit etwas Glück bei einer Wanderung durch den Regenwald beobachten kann, sind an Menschen gewöhnt. Marie die Chefin unserer kleinen Pension in Bukit Lawang hat uns bei der Organisation unserer Wanderung durch den Regenwald geholfen. Sie erzählt uns, wie wichtig der Tourismus sei - für die Menschen der Region und die Tiere des Regenwalds: "Ich glaube, wenn keine Touristen hierher kommen würden, dann gäbe es auch den Nationalpark nicht. Dann würde die Palmölindustrie hier alles bestimmen. Die Regierung weiß, dass aufgrund der Orang-Utans Touristen hierher kommen. Deshalb wird der Regenwald geschützt. Wenn irgendwann mal keine Touristen mehr kommen sollten, dann wäre das das Ende des Regenwalds und der Orang-Utans. Rund um den Nationalpark wird es immer schlimmer mit den Palmölplantagen. Vor neun Jahren zum Beispiel wenn man nach Bukit-Lawang gekommen ist, habe ich am Dorfeingang nach die Berge von Berastagi sehen können. Jetzt sehe ich nur noch Palmen. Wenn man von Medan aus hierher fährt sieht man ab Binjai links und rechts nur noch Palmöl-Plantagen. Das ist auch schlecht für den Boden, weil sie so viel Dünger nutzen. Es geht dabei nur ums Geld. Und es sind noch nicht mal indonesische Firmen, die vom Palmölhandel profitieren. Die Firmen kommenden aus Malaysia und China.“
Jörg: Wer es sich zutraut, kann noch von Bukit Lawang aus zu mehrtägigen Treks in den Regenwald aufbrechen. Dann ist es mit ganz viel Glück sogar möglich, den seltenen Sumatratiger zu sehen. Wir sind eher durchschnittlich fit und mit einem fünfjährigen Kind unterwegs. Wir haben uns deshalb für eine eintägige Wanderung entschieden.
Kerstin: Und die hat es in sich. Bei einer Luftfeuchtigkeit von über 90 Prozent und teilweise strömenden Regen geht es auf und ab. Manchmal sogar auf allen vieren, weil es steil und rutschig ist. An unserer Seite unser Guide Jury, der gleich zu Beginn unsere Erwartungen dämpft: "Wir sind hier im Regenwald. Es ist nicht gesetzt, dass wir Orang-Utans sehen werden. Aber wir werden es in jedem Fall versuchen. Und sollten wir welchen sehen, dann ist es wichtig, dass ihr nicht näher als sieben Meter an sie herangeht, wenn ihr Photos von ihnen macht. Und sollten wir einen Tiger sehen, dann bleibt einfach stehen und seid leise. Ihr bewegt euch nicht. Habt nur keine Panik. Auf keinen Fall solltet ihr versuchen, wegzurennen."
Kerstin: Sagt unser Guide Jury und schmunzelt. Seit mehr als fünf Jahren ist er fast täglich im Regenwald unterwegs. Einen Tiger hat er noch nie gesehen.
Jörg: Nach zwei Stunden sind wir patschnass und unsere T-Shirts / Hosen, kleben an uns als wären wir damit durch einen Fluss geschwommen. Die Wanderung ist eine Qual. Doch die ist schnell vergessen, als Jury plötzlich noch oben auf einen Baum zeigt. In acht Meter Höhe sitzt ein Orang-Utan-Weibchen, an sie geklammert ihr Junges.
Kerstin: Ingesamt sieben Stunden sind wir im Regenwald Sumatras unterwegs. Neben Orang-Utans sehen wir Makkaken, Fasane und Nashornvögel. Nass und zerkratzt und sehr, sehr glücklich kommen wir später an unserer Unterkunft an.
Jörg: Was ich am beeindruckendsten fand neben den Orang-Utans, war unser Guide, denn der hat Thandi die ganze Zeit, als es richtig anstrengend war, auf den Schultern getragen, während wir beide Hände brauchten, um nicht zu stürzen. Das hat mich total beeindruckt.
Kerstin: Ich weiß jedes Mal, wenn wir Tiere in der Wildnis sehen, und wir gehen danach in den Zoo, wie traurig ich dann bin. Das hat mich noch mal so in eine andere Stimmung versetzt.
Jörg: Wir sind ein paar Tage in Bukit Lawang geblieben, haben uns vom anstrengenden Treck durch den Regenwald erholt, Magenverstimmungen auskuriert und das Dorfleben am Fluss Bohorok beobachtet. Das Dorf ist kein Geheimtipp, aber auf keinen Fall eine Urlaubshochburg. Das liegt vor allem an einer Sturzflut, die im Jahr 2003 Bukit Lawang größtenteils zerstört hat. Danach sind sehr lange keine Touristen mehr gekommen. Mittlerweile steht die touristische Infrastruktur wieder und unsere Gastgeberein Marie erzählt, dass ihre vier Zimmer in der Hochsaison wieder komplett ausgebucht sind: "Ich hoffe einfach nur, dass Bukit Lawang nicht weiter wächst. Vor neun Jahren konnte ich noch den Fluss sehen, wenn ich durchs Dorf gelaufen bin. Jetzt sehe ich nur noch Hotels. Es gibt nur noch wenige Lücken, wo man einen Blick auf den Fluss werfen kann. Hier in Bukit Lawang brauchen die Menschen keine Baugenehmigung. Das führt dazu, dass dann plötzlich immer neue Häuser gebaut werden. Ich hoffe, dass nimmt am Ende keine verrückten Ausmaße an."
Kerstin: Immer wieder zerstören Naturkatastrophen wie die Sturzflut in Bukit Lawang oder Erbeben, wie das kürzlich in Sulawesi, das, was eigentlich ein Urlauberparadies sein könnte. Das wirft die Menschen in der Region, die die Katastrohe überlebt haben, um Jahre zurück. Und beim Kampf ums wirtschaftliche Überleben ist die Gefahr groß, dass ihr eigentlicher Schatz, die unberührte Natur, auf der Strecke bleibt. Das hofft die Tourismusbranche bei unserer nächsten Station auf Sumatra besser zu machen.
Jörg: Wir sind mit einem Boot unterwegs auf dem Toba-See. Eine Tagesfahrt von Bukit Lawang entfernt. Hier warten die Menschen sehnsüchtig auf mehr Touristen. Doch seit einem Fährunglück Ende Juni mit mehr als 150 Toten ist vor allem der lokale Tourismus eingebrochen.
Kerstin: Die Fähre bringt uns auf die Insel Samosir. Hier treffen wir Annette, die Vorsitzendes des örtlichen Hotelverbandes. In Ihrem Auto nimmt sie uns mit, zeigt uns die Insel die doppelt so groß ist wie Usedom. Vor Jahren kam auch sie als Touristin auf Weltreise und ist geblieben: "Auf den ersten Blick habe ich mich natürlich sofort verliebt in den See, in diese wahnsinnige Weite, in diese Farben, dieses blau, dieses grün. Und dann diese schroffen Steilhänge und so was. Und dann diese Insel in der Mitte mit diesen einzigartigen, fantastischen Leuten. Auf den ersten Blick habe ich gedacht: Ach, hier bleibe ich jetzt mal ein bisschen länger."
Kerstin: Und hat sich dabei gleich mal verliebt und ein Hotel eröffnet.
Jörg: Während der Fahrt mit Annette knackt es ordentlich in den Ohren. Wir fahren auf einen Berg. In 900 Meter Höhe genießen wir den Blick auf den Toba See und die grünen Kraterwände. In der Distanz ist am Ufer gerade noch die kleine Stadt Parapat zu sehen. Der mehr als 80 Kilometer lange See soll vor ungefähr 70.000 Jahren durch den Ausbruch eines Supervulkans entstanden sein. Das ist schwer vorstellbar, wenn man auf dieses stille, beruhigende indonesische Naturparadies schaut. Da kann man schon vergessen, dass Indonesien ja auf dem Pazifischen Feuerring liegt, der geologisch aktivsten Zone der Erde. Wie schnell sich hier ein solches Paradies in eine Hölle verwandeln kann, das haben die Menschen auf der rund 2000 km entfernten Insel Sulawesi gerade erlebt. Doch wir können den unglaublichen Ausblick einfach nur genießen.
Kerstin: Man hat so ein bisschen das Gefühl, auf dem Dach der Welt zu sein, runter zu schauen, in dem Fall auf den Lake Toba und das Leben, was rund um den See passiert, was total beeindruckend ist. Der größte Kratersee der Erde. Und dann siehst du da die kleinen Fährschiffe fahren, die die einzelnen Orte ansteuern. Wir waren ja auch auf so einem Boot gewesen und da siehst du halt, wie dieses Leben funktioniert, dass die Menschen auf's Festland fahren, um ihre Einkäufe zu machen. Und dann kommen sie mit fünf Säcken Reis zurück und fahren dann nach Hause und du kannst dir ein bisschen vorstellen, was sie in den nächsten Tagen essen werden. Ich finde das total interessant. Das macht Spaß.
Jörg: Die indonesische Regierung nimmt gerade viel Geld in die Hand, um den Tourismus rund um den See zu fördern. Straßen werden ausgebaut, mittlerweile gibt es sogar einen kleinen Flughafen. Die Regierung erhofft sich ein Wirtschaftswachstum in der Region und eine Entlastung der Insel Bali. Dort, erzählt uns Annette, wird das Wasser knapp und in den Straßen stauen sich die Autos: "Das ist schon nicht mehr schön, also, das muss ich auch sagen. Die haben auch ein sehr großes Müllproblem, sehr sichtbar, dass die Strände sehr verschmutzt sind. Und das ist leider so, dass da ein bisschen schon vom Reiz verloren gegangen ist und ich hoffe, dass sie dann auch aus dem Beispiel schlau werden, dass man sagt: Wir achten jetzt wirklich auf eine gute Durchführung des Tourismus', mehr Ökotourismus als Massentourismus."
Die indonesische Regierung will den Tourismus hier fördern
Jörg: Noch kann ich mir nur schwer vorstellen, dass diese kleine Insel im Tobasee im Norden Sumatras irgendwann mal von Touristen überrannt wird. Aber wer weiß, Bali war vor 30 Jahren auch mal eine verschlafene Insel jenseits des Massentourismus.
Kerstin: Zumindest gibt sich die Regierung große Mühe, potentielle Touristen darüber zu informieren, dass es in Indonesien spannende Reiseziele jenseits von Bali gibt. Ich kann mich erinnern, dass wir wenige Wochen vor unserer Abreise aus Berlin eine Straßenbahn gesehen haben mit einer riesigen Werbung für den Toba-See drauf. Davon berichten wir Annette, der Vorsitzenden des örtlichen Hotelvereins: "Also ich bin jetzt wirklich sehr baff und verwundert. Das ist natürlich doll, ich hab das schon mal von London gesehen. Aber ich dachte, das wäre wirklich sehr vereinzelt und mal wieder so ein Vorzeigeprojekt. Aber dass das jetzt wirklich ankommt, finde ich schon mal echt super. Ansonsten muss ich leider sagen, dass vor allem die Lokalregierung doch noch sehr halbherzig arbeitet. Die sind doch oft noch ein bisschen am Geld interessiert statt am Projekt interessiert. Es wird sich von den meisten Projekten noch ein Scheibchen abgeschnitten und das scheint leider ein bisschen mehr im Fokus zu stehen, als die tatsächliche gute Durchführung des Projekts.
Kerstin: Wir verlassen den Toba-See, der eine Woche lang unser Reisezuhause war. Ein beeindruckender See mit überaus freundlichen Bewohnern, die zum indigenen Volk der Batak gehören. Mir hat eine Woche auf der Insel Samosir gereicht. Letztlich war es mir dann doch etwas zu ruhig. Viele Touristen sind uns in den Tagen am See nicht begegnet. Jörg dagegen hat es gefallen. Er wäre gern länger geblieben: "Ich finde es großartig. Ein großartiges Setting, mit dem Grün, die Weite, ich mag Wasser. Es ist großartig. Ich mag morgens die Stimmung, wenn es noch relativ windstill ist. Ich finde die Menschen großartig, alle sind freundlich, grüßen, ich habe nicht das Gefühl, jemand will mir was aufschwatzen. Mir gefällt es gut und ich kann verstehen, warum die indonesische Regierung es fördert, dass mehr Touristen Bali verlassen und sich andere Regionen und Orte Indonesiens anschauen."