
Tegel-Serie | Lärmschutz - Anspruch mit beschränkter Haftung
Flugzeuge, so tief über den Wohngebieten, dass die Dachziegel vom Haus fallen: In manchen Ecken Reinickendorfs ist das Alltag. Wer dort wohnt, wird Anspruch auf Schallschutz haben, wenn Tegel offen bleibt - allerdings nicht auf dem Niveau des BER.
Rosen ranken sich um hölzerne Gartenzäune, Bienen summen, irgendwo zischt ein Rasensprenger. Es ist die pure Idylle in der Siedlung am Hohenzollernkanal, in der die Straßen so klein sind, dass sie einfach dem Alphabet folgend durchbuchstabiert sind. Ganz am Ende in Straße Z, fast schon an der Havel, wohnt Marion Hohnekamp.
So laut, dass die Dachziegel herunterfallen
Seit ihrer Geburt vor 76 Jahren lebt sie hier in der Einflugschneise von Tegel, erzählt Hohnekamp inmitten ihrer kleinen Idylle. Doch sie wird jäh gestört. Donnernd rauscht ein Flugzeug über ihren Garten hinweg. Der Lärm und ein ständiges Gefühl der Unsicherheit gehörten mittlerweile dazu, sagt sie. "Einmal hatten wir hier ein Straßenfest. Da sind die Dachziegel vorn und hinten herunter gerutscht", erzählt sie. "Mein Enkel fuhr hier mit seinem Dreirad immer herum. Er wäre beinahe erschlagen worden. Die Dachsteine knallten haarscharf neben ihm auf den Boden." Das Haus von Marion Hohnekamp erzittert, der nächste Flieger kommt.
In den letzten Jahren hat der Flugverkehr zugenommen. Im 2-Minuten-Takt fliegen die Maschinen über ihr Haus und ihren Garten. Eigentlich sollte seit Jahren der BER in Schönefeld am Start und Tegel geschlossen sein, sagt Hohnekamp, so habe es die Politik versprochen. Doch nun soll Tegel plötzlich weiterbetrieben werden? Das kann sie nicht begreifen.

Schallschutz für weniger als die Hälfte der Betroffenen
Marion Hohnekamp gehört zu jenen Anwohnern rund um den Flughafen Tegel, die spätestens ab 2019 Anspruch auf passiven Lärmschutz haben werden. Das bedeutet: Schallschutzfenster, Lüfter für jene Zimmer, in denen die Fenster für echte Ruhe geschlossen bleiben müssen, möglicherweise auch neue Dämmung. Aktiver Schallschutz wäre dagegen zum Beispiel eingeschränkter Flugverkehr an den Tagesrandzeiten oder am Wochenende, um gar nicht erst so hohe Lärmpegel zu erzeugen.
Die Senatsumweltverwaltung spricht von 300.000 Berlinern, die vom Fluglärm in Tegel betroffenen sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass so viele Menschen auch Anspruch auf bezahlten Schallschutz haben werden. Denn diese Zahl ist auf Grundlage der EU-Umgebungslärmrichtlinie bemessen, die neben dem Krach der Flugzeuge auch den Straßen- und Bahnlärm mit einbezieht.
Sonderregelung für Tegel läuft aus
Tatsächlich Anspruch auf Schallschutz werden nach früheren Schätzungen der damaligen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wahrscheinlich nur rund 138.000 Anwohner haben, denn der richtet sich nach dem Fluglärmschutzgesetz von 2007 - und damit nach anderen Grenzwerten.
Tegelbefürworter werfen dem aktuellen Senat daher vor, die Zahl der Betroffenen bewusst hoch zu rechnen. Wirklich verlässliche Daten werden wohl erst in einigen Jahren vom Senat vorgelegt, vorausgesetzt der Flughafen bleibt. Denn eine Sonderregelung im Fluglärmschutzgesetz erlaubte dem Flughafen Tegel bisher den Betrieb ohne neue, strengere Grenzwerte. Die Sonderregelung läuft spätestens 2019 aus. Dann erst muss der Senat die Daten liefern.
Jahrelanges Warten auf Schallschutz
Das beklagt auch Rainer Teschner-Steinhardt, der seit 14 Jahren Chef der Fluglärmschutzkommission Tegel ist. "Wir müssen mal die ganzen Daten der Senatsverwaltung sehen! Die Ausgangslage ist nicht wirklich günstig dafür, dass wir schnelle Ergebnisse bekommen."
Und selbst wenn dann die neuen Lärmschutzbereiche feststehen - den Anspruch der Betroffenen kann die Flughafengesellschaft dann noch weitere fünf Jahre lang prüfen. So steht es in Paragraf 9 des Fluglärmschutzgesetzes. Bis also die ersten Schallschutzfenster in Tegel eingebaut werden, kann es unter Umständen noch viele Jahre dauern.
Anspruch hat immer nur der Eigentümer eines Hauses, nicht der Mieter. Das betrifft viele in Reinickendorf. Mieter sind darauf angewiesen, dass sich ihr Vermieter selbst um Schallschutz für sein Haus kümmert. Alle Eigentümer, die ihre Häuser nach 2007 im unmittelbaren Flughafenumfeld gebaut und dabei auf Schallschutz verzichtet haben, werden allerdings leer ausgehen – so will es das Gesetz. Schließlich wussten sie, dass ihr Nachbar ein Flughafen ist.
Veraltete Kostenschätzung der ADV
Nach Schätzungen des Senats könnten rund um Tegel etwa 400 Millionen Euro Kosten für Lärmschutzmaßnahmen zusammenkommen. Die Tegelbefürworter halten diese Schätzung für viel zu hoch. Sie berufen sich auf eine Studie des Öko-Instituts Darmstadt, in der 2005 zu lesen war, dass rund um Tegel etwa Lärmschutzkosten von 109 Millionen Euro fällig würden. Das hat das Institut allerdings inzwischen zurückgenommen: Die Zahl stamme aus Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) und hätte vom Institut damals nicht überprüft werden können, heißt es in einer Mitteilung.

Garten ist nicht schutzberechtigt
Letztlich ist nicht alles mit Geld aufzuwiegen, sagt Rainer Teschner-Steinhardt. So wie bei Marion Hohnekamp: Für ihren Garten, ihre Terrasse, ihre kleine Idylle, gibt es gar keine Schutzwirkung. Dort kann sie sich nicht gegen den Fluglärm schützen.
Hohnekamp will sich das alles gar nicht vorstellen. Für sie steht fest: Wenn Tegel bleibt, muss sie gehen. "Ich würde wegziehen, obwohl ich dann heulen müsste", sagt sie, und eine Träne kullert über ihre Wange.
1 Kommentar
Vielen Dank für den Artikel. Ich Haus können <a href='http://www.glaserei-kurtze.de/schallschutz' >da Schallschutzfenster</a> zwar helfen, aber auch im Garten ist die Lebensqualität durch den Lärm extrem eingeschränkt. Ich hoffe für alle Beteiligten, dass sich das Problem bald löst.