Die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert auf der Frankfurter Buchmesse. (Archivbild)
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Vis à vis - Nicole Seifert: Die vergessenen Autorinnen der Gruppe 47

Wer im Nachkriegsdeutschland als Schriftsteller Erfolg haben wollte, kam an der Gruppe 47 nicht vorbei: Autoren wie Heinrich Böll, Günter Grass, Martin Walser oder Hans Magnus Enzensberger waren dort vereint. In ihrem neuen Buch "Einige Herren sagten etwas dazu" beleuchtet Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert die Rolle der Frauen in der Gruppe 47. Von Liane Gruß

Viele der Frauen in der Gruppe 47 wurden im Nachhinein "nicht miterzählt", sagt Literaturwissenschaftlerin und Autorin Nicole Seifert. Es reiche aber nicht, das mit den Geschlechterrollen der Nachkriegszeit zu begründen. "Was ich herausgefunden habe in den Recherchen zu meinem Buch: Es hatte auch sehr viel damit zu tun, dass die Männer der Gruppe die Frauen im Grunde nicht als Kolleginnen wahrgenommen und nicht als Autorinnen ernstgenommen haben."

Stattdessen hätten die männlichen Schriftsteller nur über den Körper, das Verhalten und Aussehen der Frauen gesprochen. Dabei seien die Frauen sehr gebildet gewesen und hätten selbst im Krieg noch erstaunlich lange weiterstudieren können, während die Männer an der Front waren. "Viele der Autorinnen waren sogar promoviert oder sehr gut ausgebildet in verschiedenen Bereichen", erklärt Seifert.

Autorinnen befassten sich mit Verantwortung


"Dazu kam, dass viele Autorinnen sich mit dem beschäftigt haben, womit die Männer sich erklärtermaßen nicht beschäftigen wollten", so die Literaturwissenschaftlerin, "nämlich mit der Shoah, mit dem jüngst Vergangenen, auch mit der eigenen Verantwortung für den Krieg." Die Männer und die gesamte Nachkriegsgesellschaft hätten stattdessen eine "Stunde null" angestrebt, einen Neuanfang. "Das haben die Frauen nicht mitgemacht in ihren Texten."

Einige der Schriftstellerinnen hätten zwar durchaus Erfolg gehabt, auch international - wie Ingeborg Bachmann oder Gabriele Wohmann. "Aber selbst bei denen, wo es eine Zeit lang zu Lebzeiten so war, war es nicht nachhaltig", sagt Seifert. "Und das hat strukturelle Gründe: dass die Autorinnen aus den Literaturgeschichten, aus dem Schulunterricht, aus dem literarischen Kanon ferngehalten wurden und nicht auftauchten."