Der Pianist Igor Levit spricht bei der Kundgebung der Aktionsgruppe "Fridays for Israel" vor der Humboldt-Universität in Berlin (Bild: picture alliance / Christian Ditsch)
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Vis à vis - Levit: "Ich bin ein Jude in Deutschland, der sich fragt, wo du bist?"

Am Montagabend lädt Pianist Igor Levit zu einem Israel-Solidaritätskonzert ins Berliner Ensemble ein. Mit dabei sind Sven Regener, Michel Friedman und Katharina Thalbach. Vorher hat Levit mit Berhard Neuhoff über seine Erschütterung über die fehlende Empathie in Deutschland gesprochen.

Laut eigener Aussage ist Igor Levit durch den Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und die anschließend ausbleibende Solidarität in seiner Heimat Deutschland mehr zum Juden geworden, als er es sich jemals ausgemalt hatte. Verantwortlich dafür sei eine Kombination von Dingen, so der Starpianist. "Es ist eine niederschmetternde mehrheitliche Nichtreaktion, Nicht-Empathie, die ich erlebe."

Genauso niederschmetternd sei aber auch die Aggression, die jüdischen Menschen seit dem Anschlag der Hamas in Deutschland erleben, so Levit. Gefühlt hätten keine 24 Stunden nach dem Massaker Menschen auf offener Straße zu weiterer Gewalt gegen Jüdinnen und Juden aufgerufen. "Plötzlich stellst du dir die Frage, was passiert hier denn eigentlich?"

Unerwartete Gespräche mit Kollegen

 

Levit nennt zwar auch Menschen, die ihm direkt nach dem 7. Oktober ihre Anteilnahme bekundet hätten, wie etwa Vizekanzler Robert Habeck. Allerdings habe er mit vielen Kollegen und Intendanten aus der Kulturbranche unerwartete Gespräche führen müssen.

Das seien Kulturschaffende, die bei anderen Krisen, wie etwa dem Krieg in der Ukraine oder der Emanzipationsbewegung der Frauen in Iran, zum Glück sofort da waren, sagt Levit. "Aber dann habe ich Gespräche geführt und habe gesagt, wo seid ihr eigentlich? Also es bricht sich ein Judenhass Bahn auf deutschen Straßen, wo seid ihr?"

Vertrauen in die deutsche Gesellschaft schwindet

 

Als Antwort sei ihm dann gesagt worden, dass die Situation zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten zu kompliziert sei. Doch Levit stellt klar: "Ich bin nicht Israel. Ich bin kein Israeli. Ich bin ein Jude in Deutschland, der sich fragt, wo du bist. Und dann kommt gar nichts."

Er könne auch zukünftig nicht so tun, als hätten diese Gespräche nicht stattgefunden, als sei nichts passiert. Natürlich gebe es verschiedene Perspektiven. Doch sein Vertrauen in die deutsche Gesellschaft, sich an ihre eigenen Grundwerte zu halten, wie etwa die Unantastbarkeit der Menschenwürde, sei tief erschüttert. "Sehr viele Glaubenssätze und sehr viel Selbstverständliches, was ich so in mir trug, ist zerbrochen."