Das Wort "Cringe" mit bunten Buchstaben an Wäscheklammern dargestellt (Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Dwi Anoraganingrum)
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100 Sekunden Leben - Sprachinseln für Jung und Alt

Die Älteren und die Jüngeren werden sich gegenseitig nie ganz verstehen. Nicht nur inhaltlich, sondern auch was die verschiedenen Wortschätze angeht. Kolumnist Sebastian Schiller war da bisher hart und fand, dass jede Generation auf ihrer Sprachinsel bleiben sollte. Oder doch nicht?

Es gibt so Sätze, die sollte man ab einem gewissen Alter nichtmehr sagen, finde ich. Mir läuft es kalt den Rücken runter, wenn grauhaarige Männer jenseits der 50 von ihrem "krassen" Erlebnis erzählen, bei dem sie kurzzeitig "total lost" waren.

Die Werbeaktion "krasse Lausitz" ist da so ein Beispiel, bei der es bei der Vorstellung in Cottbus zu einer bemerkenswerten Konzentration an grauhaarigen Männern gekommen ist. Männer bedienen sich meiner Erfahrung nach sowieso wesentlich häufiger eines Wortschatzes, der sie jünger und "hipper" erscheinen lassen soll. Aber auch ältere Frauen sprechen über das neue Kleidungsstück: teuer, aber geil. YOLO.

Wie komme ich darauf? Kiffen ist endlich in Teilen bald erlaubt. Christian Lindner sagte dazu auf X, vormals Twitter: Bubatz bald legal. Uuaah. Der Bundesfinanzminister ist mit 45 zwar deutlich jünger als die anfangs von mir adressierten Menschen. Aber Bubatz sollte meiner Meinung nach nur sagen dürfen, wer näher an der 20 als an der 50 ist.

Vielleicht sehe ich das ganze auch zu eng. Oder ich übersehe den eigentlichen Plan dahinter: Nichts ist uncooler, als wenn die Eltern plötzlich mitmachen. Facebook beispielsweise ist bei vielen jüngeren tot, weil die Boomer die Plattform übernommen haben. Ob die Regierung eine ähnliche Strategie mit Bubatz verfolgt? Christian Lindner grinst von Plakaten neben der Hanfpflanze von Cem Özdemir, Klaus Weselsky und Dieter Bohlen lassen sich in einem Fernsehspot von Robert Geiss Feuer geben und schauen danach seltsam beseelt aus. Welcher Jugendliche möchte dann noch kiffen?

Dann bitte aber auch konsequent sein, was den Wortschatz angeht: Dufte, hipp, schwoofen. Von mir aus geilomat und ja, auch YOLO, das haben die Generationen X und Y sowieso schon für sich vereinnahmt. Nicht zuletzt dank Susanne Daubner, die in der Tagesschau bewiesen hat, dass zum Beispiel "cringe" zwar etwas Peinliches oder Unangenehmes beschreibt, aber nicht automatisch so wahrgenommen werden muss. Und weil ich ein Ehrenmann bin, werde ich in solchen Situation in Zukunft einfach abmerkeln. Wild!

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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.